Saud

Es bleibt einem im Leben nur das, was man verschenkt hat.
— Robert Stolz

22.12.2024

Hätte ich nicht mit Saud in Dschidda abgemacht, wäre ich vielleicht nach Riad gefahren. Beim Hinflug nach Saudi Arabien kennengelernt und sofort auf einer Wellenlänge, hatte ich ihm eigentlich bereits in Aussicht gestellt, dass wir uns innerhalb von 10 Tagen in Hail wiedersehen werden, was sich dann, angesichts der Distanz von Tabuk her, bald als unrealistisch herausgestellt hat.

Hail ist seine Heimatstadt und nach dem Flug wäre er zehn Tage bei seiner Familie gewesen, wo er mich sehr gerne empfangen und seiner Familie vorgestellt hätte. So aber treffen wir uns an seinem jetzigen Wohnort wieder - Dschidda.

Lange überlege ich hin und her, ob ich von Mekka nach Dschidda mit dem Fahrrad fahren oder mir nochmals eine Busfahrt gönnen soll. Schlussendlich entscheide ich mich nach Gefühl spontan für zweiteres. Auch bin ich erst nicht sicher, ob ich danach noch einen Abstecher weiter in den Süden von Dschidda machen möchte, der auch sehr schön sein soll. Doch dieses Gebiet ist sehr weitläufig, wie ich merken muss. Und ich spüre die Lust, noch ein anderes neues Land zu entdecken, bevor ich nach Afrika fliege. Den Oman. Doch erst einmal in Dschidda ankommen.

Saud hat mir versichert, dass er mir irgendein Dach über dem Kopf organisieren kann und nennt mir dessen Adresse.

Doch erst einmal muss ich im Dunkeln mit meiner eisernen Wilma den Weg von der Busstation dahin meistern. Nicht die Navigation ist das Problem, sondern die teilweise stark befahrenen Strassen, die es zu überqueren gilt.

Bis zu drei Spuren pro Fahrtrichtung, die Fahrt wird zu einem Spiessrutenlauf.

Und als wäre das nicht genug, wartet als zusätzliche Hürde in der Mitte oft auch noch ein besonders hoher Absatz. An Fahrradfahrer*innen wurde bei der Strassenkonzeption jedenfalls auch hier keine Sekunde gedacht.

An einer Strasse warte ich rund 15 Minuten, bis ich eine genügend grosse Autolücke entdecke, in der ich mich in Fahrtrichtung fahrend von Spur zu Spur zu traversieren getraue. Und ich schätze mich bei solchen Manövern nicht als ängstlich ein. Auch bei der letzten grossen Strasse warte ich lange. Ich warte und warte. Doch keine Lücke tut sich auf um überhaupt auf die erste Spur zu gelangen. Das scheint verkehrstechnisch meine saudische Abschlussprüfung zu sein. Ich bin der Kapitulation nahe, doch fällt mir keine wirkliche Alternative ein als abzuwarten. Selbst auf dem Parkplatz, auf dem ich warte, werde ich von einem einfahrenden Auto "weggeschickt".

Ein Mann grüsst mich und fragt, ob alles okay sei. Ich erzähle ihm von meiner misslichen Lage. Kein Problem, meint er, tritt voller Selbstvertrauen mit erhobener Hand auf die Strasse hinaus und gebärt sich wie ein Strassenpolizist.

Es funktioniert, die Autos halten und ich kann über die Strasse. So einfach kann es sein.

Spät komme ich bei der Wohnung an. Saud hat mir ein Foto geschickt, wo ich den Schlüssel und mein Zimmer finde. Volles Vertrauen, dabei haben wir uns erst wenige Stunden im Flieger gesehen. Alles klappt. Ich vermute ihn im Zimmer mit der geschlossenen Türe und falle todmüde in das für mich vorgesehene Bett.

Erst nach dem Aufwachen am nächsten Morgen, es ist schon fast Mittag, realisiere ich, dass Saud selbst weder am Vorabend in der Wohnung war noch es jetzt ist. Kurz darauf ruft er mich an, um mir mitzuteilen, dass ich die Türe öffnen soll.

Ein Essenslieferant bringe Essen für mich, das er für mich bestellt habe.

Er komme mich dann später zusammen mit seiner Frau mit dem Auto abholen. Und so ist es dann auch.

Es stellt sich heraus, dass Saud vor kurzem mit seiner Freundin in eine grössere Wohnung umgezogen ist. Sein vorheriges Zuhause hat er aber noch nicht aufgegeben, da es einer seiner Freunde ab und zu nutzt. Er stellt es mir zur Verfügung, so lange ich möchte. Gemeinsam gehen wir ins beste Café der Stadt, wo es auch wunderbaren Kuchen gibt. Natürlich besteht Saud darauf, mich einzuladen. In den nächsten Tagen bringt er mich mit seinem Auto auch noch zu einem Fahrradshop, wo ich mein Fahrrad für den anstehenden Flug einpacken lassen kann. Sehr praktisch für mich, dann muss ich nicht mehr mit dem Fahrrad durch diese Auto-verrückte Stadt fahren.

Während ich im Laden stehe, legt er mir plötzlich eine Uhr um mein Handgelenk und meint, die stehe mir gut.

Dann haben sie hier also auch Uhren im Laden? Ich versuche ihm zu verstehen zu geben, dass ich keine Uhr brauche, schon seit Jahren keine Uhr mehr trage. Erst dann merke ich, dass er die Uhr mitgenommen hat, sie nicht aus diesem Laden stammt, sondern er sie bereits vorher irgendwo gekauft hat. Nochmals versuche ich ihm verstehen zu geben, dass ich dieses Geschenk nicht annehmen will und kann. Doch ich stosse auf taube Ohren. Das Ladegerät zur Uhr hat er zuhause vergessen. Ich spekuliere darauf, dass er bis zum Abschied vergessen wird, es mir zu bringen, und ich sie ihm dann aus diesem Grund zurück geben kann.

Unglaublich, dass er mir nun auch noch eine Uhr schenken möchte!

Zusammen fahren wir in diesen Tagen auch zu einer Teebaracke für den besten Tee to go der Stadt, fahren einzig dafür länger als eine halbe Stunde mit seinem Auto, und flanieren anschliessend auch noch durch die bekannte Altstadt von Dschidda, wo sich Kleinladen an Kleinladen reiht. Ich hatte Saud gesagt, dass meine Schuhe mit Schnürsenkel hier in Saudi-Arabien nicht optimal seien, da man dauernd Schuhe auszieht (und entsprechend auch wieder anzieht), wenn man irgendwo einen Teppich, ein Zelt oder Haus betritt. Für die Einheimischen ist das mit ihren Latschen einfacher. Für Saud Grund genug, mir Schuhe kaufen zu wollen. Er hat meine Aussage wohl nicht ganz richtig verstanden, meint, ich hätte grundsätzlich Probleme mit meinen Schuhen. Nur mit Mühe und mehrmaligem Beteuern, dass mir keines der Paar Schuhe im Laden gefallen, kann ich ihn davon abbringen. Auch sonst fragt er bei vielen Läden, ob ich etwas gebrauchen könnte. Ich verneine konsequent, was auch nicht gelogen ist. Ich kann unmöglich noch mehr Dinge mitschleppen. Und ich möchte auch keine weiteren Geschenke. Die gemeinsame Zeit wäre mir eigentlich schon Geschenk genug.

Ich meinerseits frage ihn auch nach Bedarf, doch auch er verneint.

Und dann gibt es an meinem letzten Abend in Saudi-Arabien, auf meinen Wunsch, ein kulinarisches Erlebnis, das ich während meiner gesamten bisherigen Zeit in diesem Land verpasst habe, obwohl es mir immer so nahe war: Kamelmilch.

Eine fancy Kamelmilch-Bar lässt einen kulinarischen Höhepunkt erwarten. Ich bin gespannt, wie sie schmeckt. Der erste Schluck lässt noch kein Urteil zu. Sie schmeckt nicht nach viel, doch das bisschen Geschmack ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig. Doch mit jedem Schluck schmeckt sie mir weniger. Da ich Saud nicht vor den Kopf stossen möchte, gebe ich vor, sie zuhause fertig zu trinken, wo ich sie dann allerdings auszuleeren gedenke.

Doch bevor wir nachhause können, müssen wir die Radblockade an seinem Auto wegbringen.

Offenbar hat er das Parkticket nicht richtig bezahlt. Doch kein Polizist weit und breit. Nach einigen Minuten finden wir heraus, dass beim Ticketautomaten eine Telefonnummer steht, die es anzurufen gilt. Das Telefon wird zwar bedient, doch bis jemand vor Ort mit dem richtigen Schlüssel kommt, vergehen viele Minuten. Irgendwann klappts dann doch noch und wir können nachhause fahren.

Saud hat am nächsten Tag Frühschicht am Flughafen und ich frühmorgens einen Flug nach Muskat, die Hauptstadt des Omans. So kann er mich mitsamt in Karton eingepacktem Fahrrad an den Flughafen bringen. Das Ladegerät für die Uhr hat er zwar tatsächlich vergessen, doch trotzdem lässt er sich die Uhr nicht zurückgeben. Genauso lässt sich auch die Zeit nicht zurückdrehen. Es ist die Zeit gekommen, mich von Saud zu verabschieden und dieses faszinierende, manchmal verwirrende und immer wieder überraschende Land zu verlassen.

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Oman