Panik

Jede Panik macht uns zum willenlosen Opfer unserer eigenen Wahnvorstellungen.
— Monika Kühn-Görg

21.12.2024

Frühmorgens komme ich in Medina an. Ohne Buchung fahre ich zum vorgängig online eruierten Hotel. Mein Kostensenk-Trick, der sich bisher nun schon einige Male bewährt hat, soll zur Anwendung kommen: In der Annahme, dass das Hotel kaum ausgebucht ist, gleich vor Ort buchen, um die Marge von Onlineanbietern zu umgehen. Doch in diesem Hotel scheint das offenbar nicht zu gehen. Die Dame hinter der Rezeption spricht zwar so gutes Englisch wie bisher kaum jemand in Saudi Arabien, aber der Trick geht dieses Mal nicht auf. Ich muss das Zimmer, vor der Rezeption stehend, online buchen. Die Möglichkeit eines spontanen Erscheinens scheint hier nicht vorgesehen zu sein. Immerhin darf ich bereits jetzt ins Zimmer, um 20 nach 6 morgens, und kann noch etwas nachschlafen.

Später bestelle ich mir ein Uber-Taxi in die Stadt.

Ich möchte zur Propheten-Moschee, der zweitwichtigsten Moschee des Islams.

Pilger besuchen auf ihrem sogenannten Hadsch nach Mekka meist auch diese Moschee in Medina. Der Prophet Mohammed selbst war in deren Konstruktion involviert. Er hatte hier gewohnt. Und hier ist auch sein Grab. Offiziell ist es Nicht-Muslimen laut meiner Internetrecherche zwar eigentlich nicht gestattet, die Propheten-Moschee zu besuchen, doch offenbar kann man sie trotzdem problemlos betreten. Mal schauen wie weit ich komme.

Der Uber-Fahrer lässt mich in einem Untergrund-Parkhaus raus und meint, ich könne hier einfach die Rolltreppe benutzen um zur Moschee zu gelangen. Als ich mit der Rolltreppe hochfahre, bin ich plötzlich mittendrin.

Sie führt auf den Vorplatz der Moschee, der bereits zur Moschee gehört.

Ich hatte erwartet irgendwo in die Nähe des Eingangs zu gelangen und nicht gleich auf das Gelände der Moschee selbst. Etwas unsicher laufe ich über den grossen Platz. Riesige sonnenschirmartige Fächer spenden Schatten.

Die Leute hier stehen, sitzen, knien oder liegen, sie lachen, reden, essen oder schlafen. Hier findet das Leben in all seinen Facetten statt.

Die Stimmung ist gelassen. Die Menschen sind gleichzeitig ehrfürchtig und auch stolz und frohen Mutes hier zu sein.

Jegliche Nationalitäten treffen friedlich aufeinander.

Menschen mit Turban aus dem indischen Raum genauso wie Afrikaner in langen Gewändern, ältere Männer in traditionellen Kleidern neben modern-traditionell gekleideten jüngeren Typen mit lässigen Sonnenbrillen, Einzelpersonen, Pärchen, Freunde, ganze Familien. Ich entspanne mich langsam etwas.

Als zum Asr-Gebet aufgerufen wird, dem dritten von 5 täglichen Gebeten, getraue ich mich gar in die Moschee hinein, wozu ich meine Schuhe ausziehe.

Auch kann ich es nicht sein lassen, das eine oder andere Foto zu schiessen, allerdings sehr dezent im Hintergrund. Immerhin haben auch viele Gläubige vorhin Fotos geschossen. Nun sind aber alle am beten, sei es in oder auch ausserhalb der Moschee. Die Frauen sind separiert von den Männern, ich sehe also nur Männer.

Eindrücklich Hunderte im Gleichtakt hinknien, hinkauern und aufstehen zu sehen.

Ich falle nun umso mehr auf. In der Masse so zu tun als würde ich auch beten finde ich dann doch zu komisch, es widerstrebt mir.

Im Hintergrund bleibend scheint sich aber niemand über mich zu stören. Trotzdem bin ich froh, als es vorbei ist und ich wieder etwas besser in der Masse untergehen kann. Draussen beobachte und staune ich weiter. Ich entspanne mich dabei immer mehr. Langsam fasse ich auch den Mut, Leute zu fragen, ob ich ein Foto von ihnen machen darf. Gerade rechtzeitig, hält doch nun bereits das schöne Abendlicht Einzug. Ich möchte diese Vielfältigkeit festhalten. Viele lehnen ab, was es natürlich zu respektieren gilt, doch einige willigen ein. Die Freude ist meist gross und ein breites Grinsen auf dem Gesicht, wenn ich ihnen ihr Foto zeige.

Ein Ägypter ist gar so begeistert, dass er mich dazu auffordert, noch mehr von ihm zu schiessen und sie ihm zu schicken. Er macht im Gegenzug dann auch einige von mir. Bald ist die Sonne und mit ihr auch das goldige Licht weg. Der Platz vor der Moschee wird immer dichtgedrängter. Absperrungen werden aufgestellt und die Menschen reihen sich in Reih und Glied ein.

Das Maghrib-Gebet, das zweitletzte des Tages, beginnt schon bald. Ich entscheide mich dazu, diesem Gebet auf dem Vorplatz beizuwohnen. Eindrücklich, wie viele Leute hier zusammenkommen.

Ich versuche dies mittels eines Videos festzuhalten.

Plötzlich tritt ein Typ in Militärkleidung auf mich zu.

Sofort beende ich die Aufnahme. Mit ernster Miene fragt er mich, ob ich Muslim sei. Mir rutscht das Herz in die Hose. Was nun? Ich fühle mich ertappt, Panik macht sich breit. Einen kurzen Moment schiesst es mir durch den Kopf, wegzurennen. Ich sei es mir am überlegen, Muslim zu werden, entgegne ich ihm, da ich ein klares "Nein" unter allen Umständen verhindern will. Er fragt mich nach meinem Pass. Mir bleibt nichts anderes übrig als ihm diesen auszuhändigen. Er macht ein Foto davon. Wegrennen ist spätestens jetzt keine Option mehr. Ich fühle mich ausgeliefert. Was wird jetzt mit mir passieren? Werde ich gar im Gefängnis landen? Alles scheint mir möglich. Bilder eines saudischen Gefängnisses meiner Vorstellung tauchen vor meinem inneren Auge auf. Ich versuche ruhig zu bleiben, was mir angesichts all dieser in Sekundenbruchteilen aufploppenden Gedanken nur schwerlich gelingt. Mein Puls rast. Ich sei vor kurzem mit der Rolltreppe hochgekommen und habe nicht gewusst, dass ich dann bereits mitten auf dem Vorplatz der Moschee sei, versuche ich zu beschwichtigen. Das stimmt ja auch, bis auf das "vor kurzem".

Er merkt mir meine Nervosität an und fragt mich, wie mir denn Saudi Arabien bisher gefalle und wo ich überall schon gewesen sei. Ein Steilpass um die Sympathie- und Komplimente Karte zu spielen. Allerdings gar nicht so einfach in meinem aktuellen Schockzustand. Doch ich versuche trotz Panik möglichst begeistert von Saudi Arabien zu erzählen.

Als nächstes verlangt er nach meiner Kamera, mit der ich vorhin und auch schon den ganzen Nachmittag immer mal wieder gefilmt habe. Hoffentlich findet er all die Aufnahmen nicht! Soweit ich weiss, kann man sich die Aufnahmen auf dem Gerät nicht anschauen, sondern erst nachher auf einem Laptop, was ich ihm auch mitteile (erst viel später finde ich heraus, dass dem nicht so ist). Er findet glücklicherweise keine Aufnahmen, glaubt mir und unterlässt es auch, sich die Daten in einem Computer anschauen zu gehen. So händigt er mir meine Kamera wieder aus. Ich solle die Daten zuhause sofort löschen und nun sofort von diesem Ort verschwinden. Ob ich denn eventuell Probleme bei der Ausreise bekommen könnte, möchte ich noch von ihm wissen, immerhin hat er ja meinen Pass fotografiert. Er verneint.

Durchatmen. Und sofort von diesem Platz verschwinden.

Alle um mich herum beten bereits. Eine riesige Masse, ein riesiger Platz, alles voll mit betenden Menschen. Ich bekomme es nur noch aus dem Augenwinkel mit. So schnell wie möglich weg hier, ist mein einziger Gedanke. Bald finde ich mich in hohen Hoteltürmen wieder. Macht Sinn, dass diese Gegend hier, gleich neben der wichtigsten Moschee der Stadt, bei religiösen Touristen beliebt ist. Nur langsam kommt mein Puls etwas herunter. Das ist gerade nochmals gut gegangen! Ich bestelle ein Uber-Taxi. Das kommt allerdings ewig nicht. Schlägt da vielleicht bereits das Karma zu? Schlussendlich klappt es dann doch noch. Im Hotel angekommen lösche ich als erstes die Videodateien auf der Speicherkarte. Nicht, dass das bei der Ausreise oder noch vorher doch noch zu einem grösseren Problem wird. Was für ein Tag!

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