Zauber

Der Zauber steckt immer im Detail.
— Theodor Fontane

20.12.2024

Abdulrahman bringt mich mit seinem Pickup zu genau jenem Punkt, wo er mich vor zwei Tagen aufgegabelt hat. Noch zwei weitere geplante Tage bis Hail. Ich komme heute gut voran. Vielleicht hat auch die Rückenübung am Morgen geholfen? Rückenschmerzen verspüre ich jedenfalls erstmals seit ein paar Tagen keine mehr, sie sind wie weggezaubert. Als ein Auto hält, schaut mir ein bekanntes Gesicht entgegen: Der Fahrer war der Kamelarzt bei der Kamelrennbahn und erinnert sich an mich.

Kurzerhand reicht er mir einen Plastiksack mit einer Brot-Ei-Rolle durch seine Autotür.

Kurz vor dem geplanten Zeltstandort, stosse ich mein Fahrrad wieder einmal durch Sand.

Plötzlich tauchen zwischen Akazienbäumen Kamele auf.

Anfangs sehe ich nur eines, doch dann tauchen immer mehr auf. Die Szenerie mutet mystisch an.

Unter einem Akazienbaum, zwischen Felswänden, stelle ich mein Zelt auf. Zauberhaft, dieser Zeltplatz!

Das Sternenmeer über mir. Ein letztes Mal erlebe ich den Zauber einer Zeltnacht in der saudischen Wüste.

Die Teigwaren, die ich heute Abend noch herunterschlinge sind allerdings nicht mehr so zauberhaft. Erst im Nachhinein realisiere ich, dass sie schon ganze vier Tage im Tupperware in meiner Tasche Wärme abbekommen haben. Das Essensmanagement auf einer solchen Reise ist gar nicht so einfach, insbesondere wenn es immer wieder zu unvorhergesehenen Einladungen und Planänderungen kommt. Alles was olfaktorisch noch einigermassen essbar erscheint, esse ich noch, da ich nur sehr ungern Nahrungsmittel wegwerfe. Die Teigwaren sind allerdings auch für meine Nase schon sehr an der Grenze. Doch es spielen auch die Faktoren mit, dass die Brot-Ei-Rolle von meinem Bekannten alleine einfach nicht ausreicht und ich bei der bereits eingesetzten Dunkelheit so gar keine Lust verspüre noch aus dem Zelt zu gehen und zu kochen.

Am nächsten Tag ist die Stadt Hail Ziel.

Ein Autofahrer hält an, ich komme mit ihm ins Gespräch. Nein, ich brauche aktuell nichts, habe keinen Wunsch, teile ich ihm auf Nachfrage mit. Dies hindert ihn aber nicht daran, mir beim Tankstellenshop etwas weiter die Strasse, als er mich zufällig wieder sieht, zwei volle Plastiksäcke mit Getränken und Essen sowie Bargeld zu überreichen. Ja, sogar Bargeld, umgerechnet rund 12 Franken. Ich bin so perplex, dass ich gar nicht ablehnen kann. Der Zauber dieser positiven Überraschung wirkt.

Beseelt von diesem Akt der Nächstenliebe und auch noch beglückt von Rückenwind, endlich einmal wieder, nähere ich mich dem Zentrum von Hail. Die Häuser sind hier in der Peripherie schon grosszügig angelegt. Auch die Strassen sind grosszügig mehrspurig, doch glücklicherweise rollt der Verkehr hier etwas gemächlicher und weniger zahlreich, als dies in Tabuk der Fall war.

Es hat hier sogar einen blau leuchtenden Fahrradweg. Allerdings fängt dieser irgendwo plötzlich an und genauso irgendwo auch einfach wieder auf.

Oder es kommt plötzlich eine mit dem Fahrrad nicht zu überwindende Schwelle. Nicht zusammenhängend, konzeptlos. Schade, die Idee ist gut. Ich gönne mir ein Hotel für drei Nächte. Und auch ein grosses Menü in einem nahegelegenen pakistanischen Restaurant. Ich fühle mich wie plötzlich wieder zurück in die Zivilisation gezaubert. Auch dem ebenfalls nahegelegenen Vergnügungspark möchte ich die Chance geben, mich zu verzaubern und einen Besuch abstatten, allerdings wird mir beim Eintritt gesagt, dass an diesem Abend nur Frauen Zutritt hätten. Sie werden mit Autos bis zum Eintritt gekarrt und später wieder abgeholt, wie ich nun beobachten kann. Nachvollziehbar, dass Achterbahn fahren mit Burka nur bedingt spassig ist. Da braucht es dann halt Frauentage um die Burka auf die Seite legen zu können. Bei Fitnesscenter sind sogar die Gebäude zweigeteilt: Die eine Gebäudehälfte für Männer, die andere für Frauen. Nur einen Frauentag pro Woche wäre hierbei wohl weniger zielführend.

Am nächsten Tag habe ich Kopf- und Bauchschmerzen.

Erstere ordne ich einer gewissen Überanstrengung in den letzten Tagen zu, zweitere den überalterten Teigwaren vom Vortag. Einen Tag im Bett später bin ich wieder auf den Beinen. Ich besuche die örtliche Moschee, was verkehrstechnisch auch wieder einiges an Nervenkitzel mit sich bringt.

Gleich daneben befindet dich ein Einkaufscenter mit Kino. Ich gönne mir am späteren Nachmittag Gladiator 2, sitze ganz alleine im grossen Kinosaal. Danach geht es abends mit dem Bus nach Medina. Mit dem Fahrrad verspricht die Strecke nicht viele Highlights und mein Körper braucht eine Fahrradpause. Taxifahrer versuchen mich kurz vor dem Bus aufzuhalten und mir eine Taxifahrt aufzuschwatzen. Doch ich habe das Ticket bereits online gekauft und so ein gutes Argument, nicht darauf sondern tatsächlich im Bus einzusteigen. Ab nach Medina, der zweitwichtigsten Stadt des Islams.

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