Prüfung

Wer die Angst überwindet, erlangt Freiheit.
— Ralph W. Emerson

02.11.2024

Bei meiner Mittagspause am Wegesrand, auf dem Weg nach Preveza, fährt eine Radreisende in meine Gegenrichtung, die mich ziemlich lange beäugt. Es stellt sich heraus, dass sie verwirrt war, da sie unsicher war, ob ich ihr Freund sei, der praktisch genau das gleiche Fahrrad mit den gleichen Taschen wie ich hat, den sie aber eigentlich hinter sich wähnte. Er stösst dann kurze Zeit später auch dazu.

Sie kommen ebenfalls aus Bern - wie klein die Welt doch ist! Nico und Nora - ein überaus sympathisches Pärchen.

Zusammen sind sie von der Schweiz schon bis in die Türkei gefahren und möchten jetzt noch nach Marokko, bevor sie Ende des Jahres wieder nach Hause gehen.

Kurz vor Preveza, am mit 22 Kilometern zweitlängsten Strand Europas, gönne ich mir ein Bad im Meer. Unglaublich, aber wahr: Auf meinem bisherigen Trip war ich noch nie im Meer baden und erst einmal im Wasser, im Weissensee.

Heute Abend treffe ich meine Mum und meinen Bruder in Preveza. Die Vorfreude ist gross.

Allerdings: Es scheint sich ein Muster abzuzeichnen, dass ich, bevor ich jemanden von zuhause treffen kann, eine Prüfung zu bestehen habe.

So auch heute.

Nach dem Meeresbad, es ist schon am Eindunkeln.

Ein älterer Mann kommt mir mit einer Rute in der Hand entgegen.

Händefuchtelnd und mit einem "No, no" gibt er mir zu verstehen, dass ich die Strasse nicht weiterfahren soll. Ich halte vor ihm an. Da verlangt er plötzlich Geld. Es ist kein Betteln, sondern ein Einfordern. Ich habe tatsächlich noch nicht einmal Euros geholt, hätte höchstens noch ein paar restliche albanische Lek bei mir. Doch kurzerhand kehre ich einfach um. Zum Glück folgt er mir nicht; er sieht wohl ein, dass ich schneller bin.

Kurze Zeit später kommt ein Jugendlicher auf mich zu, ebenfalls mit einem "No, no". Nun weiss ich schon, was mir hier wieder blühen könnte, und kehre sogleich um. Ein anderer Jugendlicher, der dazustösst, wirft Steine nach mir.

In der nächsten Strasse geht es unheimlich weiter.

Hier wimmelt es vor aggressiv wirkenden Hunden, die sich gegenseitig anstacheln. Ich muss vom Fahrrad steigen und versuche, sie – und mich – zu beruhigen. Schlussendlich kann ich mich auf ein Firmengelände retten, wo mir eine Frau erklärt, dass dies hier eine gefährliche Gegend sei und ich besser die Hauptstrasse fahre. Hat zwar mehr Verkehr, ist aber dennoch einiges sicherer.

So schaffe ich es, aufgewühlt, doch unbeschadet ins Appartement nach Preveza.

Prüfung bestanden.

Als Belohnung stossen kurze Zeit später meine beiden "Reisegäste" dazu.

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