Ahmed

Gastfreundschaft ist die Kunst, das Eigene zu teilen, ohne den anderen fremd fühlen zu lassen.
— Timo Ertel

05.12.2024

Ahmed schickt mir den Standort seines Hauses spät. Als es so weit ist, merke ich, dass er etwas nördlich von Al-'Ula wohnt und ich bereits daran vorbeigefahren bin – allerdings glücklicherweise erst ganz wenige Kilometer. Perfekt gelegen, um die Sehenswürdigkeiten anzuschauen, einiges besser als in Al-'Ula selbst.

Er öffnet mir die grosse Metalltür. Alle Häuser hier sind ummauert, so auch seines. Diese Abschottung passt eigentlich gar nicht zu der gastfreundlichen Art der Saudis, denke ich mir. Er erklärt mir, dass sein Vater, der dieses Haus gebaut hat, ein schlauer Mann gewesen sei. Er habe die Mauer so gebaut, dass man von innen die tolle Aussicht auf die Palmenhaine und Felsen sehen könne, von aussen jedoch die Personen, insbesondere Frauen, nicht erkennbar seien.

Ich frage ihn, warum teilweise Mauern stehen, ohne dass ein Haus darin ist. Er meint, dass gewisse Leute nicht wirklich Papiere für ihren Besitz hätten und so das Gebiet schon einmal abstecken und klar machen, dass es ihnen gehört.

Schlussendlich bleibe ich drei Nächte bei Ahmed, wo ich einmal mehr im "Teppichraum" einquartiert bin!

Ich kann frei ein- und ausgehen. Er nimmt sich jeden Abend im Zelt innerhalb der Mauern Zeit für mich, und dank seines guten Englisch und meiner neugierigen Fragen erfahre ich viel Spannendes. Nie sicher bin ich mir allerdings, ob es etwas zum Abendessen gibt – da ist Ahmed zurückhaltend in der Kommunikation. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass er selbst grundsätzlich nicht gerne isst, wie er mir einmal sagt?

Mir ist es unangenehm, danach zu fragen. Ich möchte weder davon ausgehen und dann mit leerem Bauch ins Bett gehen, noch davon ausgehen, dass es keines gibt, und mit vollem Magen eine liebevoll zubereitete Mahlzeit vorgesetzt bekommen. Ein Dilemma. Am zweiten Abend kaufe ich mir etwas, esse es aber noch nicht. Am dritten Abend überwinde ich mich und frage dennoch von unterwegs aus nach. Ich schreibe, dass ich jetzt etwas essen würde, ausser natürlich, es würde wieder so etwas Feines bei ihm zu essen geben.

Schlussendlich gibt es jeden Abend ein tolles Essen.

Ich werde verwöhnt.

Er organisiert immer etwas Spezielles, Traditionelles und will mir auch die Diversität ihrer Küche zeigen. Gekocht wird von seiner Frau, die ich während all der Tage allerdings nicht einmal zu Gesicht bekomme. Dies war auch schon bei Salah mit den Frauen im Haus so – gewöhnungsbedürftig für uns Europäer. Seine zwei Kinder sehe ich ein paar Mal, einmal bei einem Fahrradrennen mit Nachbarn auf der Strasse.

Von seinem Vater hat Ahmed die Einstellung übernommen, möglichst nur beste Qualität zu kaufen. Das sei zwar kurzfristig teurer, doch langfristig nachhaltiger und somit kostengünstiger. So kommen in die Küche nur Zutaten bester Qualität. Sein Teppich in meinem umfunktionierten Schlafzimmer ist bereits 15 Jahre alt, sieht aber noch fast wie neu aus. Seine Hausmauern sind doppelt und mit dem besten Beton gebaut. Allerdings will die Regierung diesen Ortsteil offenbar dem Erdboden gleichmachen – sie haben bereits begonnen, Häuser abzureissen. Warum und ob es auch mit seinem Haus so weit kommen wird, weiss er nicht genau. Natürlich würde er entschädigt werden, doch er liebt dieses Haus. Seine Kinder können dahinter ohne Gefahr spielen, abgesehen von vereinzelten Wölfen in der Nacht, die offenbar auch bis hierher kommen. Falls es wirklich so weit kommt, werden sich die Bauarbeiter wundern angesichts der stabilen Mauern.

Auch Ahmed ist ein Beduine und sehr stolz darauf. Tiere hat er allerdings keine – er mag sie nicht. Er erzählt mir, dass es verschiedene Beduinenstämme gibt, die sich früher teilweise bekriegt haben. Er kommt offenbar von einem besonders angesehenen Stamm, dementsprechend strikt sind aber auch gewisse Regeln. So könne er es nur akzeptieren, wenn seine Kinder innerhalb des Beduinenstamms heiraten. Er erzählt mir auch, dass es in der arabischen Sprache viel mehr Wörter gebe als in anderen Sprachen. Beispielsweise die verschiedenen Stangen im Zelt haben alle einen anderen Namen. So kann man sich viel gewählter ausdrücken, das Erlernen der Sprache ist allerdings somit natürlich anspruchsvoller.

Ahmed erzählt mir, dass privater Boden heilig sei.

Für den Fall, dass ein Einbrecher kommt, hat er eine Waffe im Haus und würde nicht zögern, zu schiessen. Dies sei bei einem Einbruch legitim. Erst vor kurzem habe nicht weit von hier jemand einen Einbrecher mit einer Pfanne halb totgeschlagen. In so einem Fall würden die Betroffenen oder deren Angehörigen und auch der Staat davon absehen, dies rechtlich zu verfolgen. Wenn die Polizei zu einer Hausdurchsuchung kommt, schicke sie zuerst eine Frau, die den Kindern und den Frauen mitteilt, das Haus zu verlassen. Erst dann komme die Polizei auf das Grundstück. Bei einem Mord könne die Familie des Opfers entscheiden, ob der Täter hingerichtet wird, oder ob sie ihnen einfach so – oder für eine gewisse Anzahl Kamele oder Geld – vergeben. Es muss nur eine Person der Angehörigen vergeben. Innerhalb eines Beduinenstamms kann es vorkommen, dass für ein Mitglied Geld gesammelt wird, um das verlangte Geld als Wiedergutmachung zusammenzubringen.

Als ehemaliger Suchtpräventionsfachmann interessiert mich auch, wie schwierig der Zugang zu Alkohol und anderen Drogen ist. Immerhin ist ja alles streng verboten, und die Einfuhr von Drogen wird nach wie vor mit der Todesstrafe geahndet. Ahmed sagt, wenn man wolle, könne man leicht an Alkohol und Drogen kommen. Wird man jedoch beim Handel oder Konsum erwischt, gebe es harte Strafen. Habe man jedoch ein Suchtproblem, könne man sich straffrei bei einem Behandlungszentrum melden. Wie eine Behandlung dort aussieht, könne er mir nicht sagen.

Beruflich ist Ahmed sehr innovativ, hatte aber mehrmals Pech. Er besass früher einen Parfümladen in Tabuk. Mit der Zeit wollte er ein eigenes Parfüm lancieren, wusste bereits, welche Duftnoten es haben sollte, und liess auch ein Logo kreieren. Doch dann erhielt sein im Laden angestellter, aus dem Jemen stammender Geschäftshelfer kein Visum für eine Messe in Frankreich. Später hinterging dieser ihn wiederholt, indem er in Ahmeds Laden selbst bestelltes Parfüm verkaufte. So gab Ahmed die Idee seines eigenen Parfüms auf. Auch der Laden lief zu Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr gut, und er verkaufte ihn. Anschliessend kaufte er Bagger und arbeitete als Subunternehmer beim Neom-Projekt mit. Doch dort erhielt er seinen Lohn Monate zu spät. Er musste einen Bagger mit grossem Verlust verkaufen, um über die Runden zu kommen. Ausserdem wurden ihm Dinge gestohlen. Er ist sichtlich enttäuscht und desillusioniert. Vieles sei korrupt in diesem Projekt, Arbeit werde von Gastarbeitern mit Teamführung nur an Leute aus dem eigenen Land oder gar an Verwandte vergeben. Neu möchte Ahmed in der Nähe seines Hauses eine kleine Unterkunft für Touristen aufmachen. Er renoviert dazu alte Häuschen, hat jedoch die Lizenz dafür vom Staat noch nicht erhalten. Ahmed möchte innerhalb des nächsten Jahres Ferien in der Schweiz machen. Seine Frau könne er nicht mitnehmen, da in der Schweiz neuerdings ein Verschleierungsverbot gilt. So weiss er noch nicht, mit wem und wann genau er kommen wird. Für mich ist das eine Gelegenheit, ihm in Form von Tipps ein bisschen für seine Gastfreundschaft zurückzugeben. Dabei eine Nacht bei mir in Bern zu verbringen, scheint er allerdings nicht zu wollen.

Und hier in Al-'Ula kann ich ihn zu nichts einladen. Er gehe nicht an Orte, wo andere Leute hingehen. Auch nicht zu einem gemeinsamen Barbesuch, den einer seiner Freunde in der Nähe besitzt und der ziemlich toll zu sein scheint. Für Ausflüge bin ich also auf mich selbst gestellt. An einem Abend schauen wir gemeinsam arabischen Liga-Fussball. Ich bin allerdings so müde, dass ich dabei halb einschlafe. Was ich auch nicht mitbekomme: Macron fährt an einem Tag direkt an der Strasse vorbei. Die Strasse sei für Stunden gesperrt gewesen, erzählt mir Ahmed danach. Er habe aber einen Schleichweg benutzt, um dennoch in die Stadt zu kommen.

Und so verrinnt die Zeit und irgendwann heisst es Abschied nehmen.

Ahmed spricht mir noch Mut zu für die nächsten Fahrradtage in der Wüste. Wenn ich kein Wasser mehr habe, solle ich einfach jemanden fragen. Das müsse jeder geben. Na dann, vielleicht auf ein baldiges Wiedersehen in der Schweiz, Ahmed..

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