Akzeptieren

Intelligenz ist die Fähigkeit, seine Umgebung zu akzeptieren.
— William Faulkner

01.10.2024

Langsam geht die Sonne im Meer unter. Ich hatte geplant, bei Sonnenuntergang im wunderschön gelegenen, mittelalterlichen kroatischen Städtchen Hum zu sein, um es im besten Licht zu fotografieren.

Nun sehe ich die letzten Sonnenstrahlen nur durch den Wald hindurch.

Mein Herz hüpft auch so bei diesem wunderbaren Licht. Obwohl der bisherige Tag schon anstrengend war, fahre ich so schnell wie möglich. Als ich Hum endlich erreiche, ist die Sonne nicht mehr zu sehen. Akzeptieren. Ich mache trotzdem noch ein paar Luftaufnahmen und suche von oben nebenbei auch nach einem guten Zeltplatz. Zwei Fliegen auf einen Schlag! Ich werde fündig, baue das Zelt bei einbrechender Dunkelheit auf – darin habe ich mittlerweile Übung – und verkrieche mich ins Zelt mit Blick auf Hum. Am nächsten Morgen gelingen mir einige schöne Aufnahmen.

Weiter geht es durch die Hügellandschaft von Istrien.

Selbst die Eisenbahngeleise passen sich hier der Landschaft an.

Sie wirken eher wie eine Achterbahn. Eine Achterbahn der Gefühle ist auch meine Reise bisher. Ich fühle mich reif für die Insel. Bevor ich versuche, die Fähre in Brestova zu erreichen, reicht es gerade noch für ein Mittagessen in einem Restaurant in Plomin. Der Kellner kann nicht Englisch sprechen, aber mittels Handzeichen klappt sowohl die Bestellung als auch das Erzählen von meiner Reise. Ich gebe ihm auch noch eine Visitenkarte dazu. Am Ende ist er so glücklich, dass er mit seinen Händen ein Herz formt und mich sogar umarmt. Wow, wenn alle Kroatinnen und Kroaten so herzlich sind!

Die Fähre erreiche ich 10 Minuten vor der Abfahrt. Die Insel Cres hatte ich mir definitiv völlig flach vorgestellt. In Wirklichkeit aber erwarten mich erst einmal 500 Höhenmeter, bevor ich überhaupt Zivilisation erreiche.

Auf dem Pass ist die Aussicht grandios.

Ich treffe Martin, einen anderen Radreisenden aus Deutschland. Er möchte auf der Bergspitze zelten und versucht, mich dazu zu bewegen, es ihm gleichzutun. Doch mir graut vor dem angekündigten Regen in der Nacht und am nächsten Tag. Ich lehne dankend ab und suche mir eine Unterkunft in der Ortschaft Cres. Obwohl unsere Bekanntschaft eher flüchtig ist, tauschen wir unsere Telefonnummern aus. Wer weiss, vielleicht treffen wir uns morgen in Cres wieder? Bei dem prognostizierten Regen werde ich sicher um etwas Gesellschaft froh sein.

Ich hatte nicht geplant, länger auf Cres zu bleiben, doch die Wetterprognosen für die kommenden Tage sind wirklich miserabel. Zudem finde ich heraus, dass die Fährverbindungen wider Erwarten gar nicht so zahlreich sind, insbesondere jetzt in der Nebensaison. Einige Verbindungen gibt es nur an bestimmten Wochentagen, andere nehmen keine Fahrräder mit. Und bei schlechtem Wetter Fähre zu fahren, ist bei meiner Neigung zu Seekrankheit ohnehin keine gute Idee. Zwei Tage regnet es so stark, dass an Weiterfahren wirklich nicht zu denken ist.

So bin ich gewissermassen auf der Insel "gestrandet".

Und dies, obwohl ich noch nicht einmal einen Strand gesehen habe – höchstens auf Werbeplakaten am Strassenrand. Das bringt mich hinter meinen Zeitplan. Akzeptieren. Etwas anderes bleibt mir gar nicht übrig.

Dabei erfahre ich von Sofia, dass sich die Sicherheitslage sowohl in Jordanien als auch in Ruanda, Uganda und Tansania offenbar verschlechtert hat. Alles Länder auf meiner geplanten Route. Auch das: Akzeptieren.

Ich treffe Martin am nächsten Tag nach der Passfahrt in meinem Appartement wieder. Wir kochen und essen fürstlich zusammen. Er meint, die Abendstimmung auf dem Berg sei toll gewesen, der Morgen aber tatsächlich garstig, mit Regen und viel Wind.

Martin ist zwar auch mit dem Fahrrad unterwegs, aber doch ganz anders als ich. Er hat kein konkretes Ziel und fährt einfach dorthin, wohin es ihn gerade zieht. Regen-Tage stressen ihn daher viel weniger. Ohne Ziel mehrere Monate mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht bin ich grundsätzlich nicht der Typ dafür. Doch vielleicht könnte ich eins von ihm lernen: die Gelassenheit, entspannter in Bezug auf meine Ziele zu werden. Mehr mit dem Flow zu gehen. Weniger vorauszuplanen. Die Umstände einfach zu akzeptieren, so wie sie sind.

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