Ankunft

Wenn du die Richtung nicht änderst, könntest du dort auskommen, wo es dich hintreibt.
— Laotse

21.11.2024

Am Flughafen in Athen behalte ich mein Gepäck stets im Blick. Schliesslich reise ich in ein Land, in dem auf Drogeneinfuhr die Todesstrafe steht. Nicht, dass mir noch irgendwer etwas zusteckt. Im Wartebereich am Gate scheine ich, neben zwei Deutschen, der einzige westliche Nicht-Muslim zu sein. Fast alle Frauen sind vollverschleiert. Wo kommen sie plötzlich alle her? Vorher sind mir noch keine Verschleierungen aufgefallen und jetzt Schleier überall.

Im Flugzeug sitze ich neben einem jungen Paar – er ist 28, sie 22 und trägt ebenfalls einen Niqab. Sie erzählen mir, dass sie in Albanien ihre Flitterwochen verbracht haben. Da sie besser Englisch spricht als er, ist sie ebenfalls in das Gespräch involviert. Die beiden sind Cousin und Cousine, was in Saudi-Arabien offenbar eine gängige Ehekonstellation ist.

Ein Passagier in der Reihe vor uns gibt uns mit Handzeichen zu verstehen, dass wir leiser sprechen sollen. Offenbar stören ihn unsere Gespräche. Wir scherzen, dass er wohl "hangry" sei, und hoffen, dass ihn die Mahlzeit beruhigen wird.

Der Mann neben mir, Saud, arbeitet bei der Passkontrolle am Flughafen in Dschidda. Das beruhigt mich, denn ich habe mir Sorgen gemacht, ob ich meine Schmerzmittel und anderen Medikamente einführen darf. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, ob sie erlaubt sind. Saud bietet mir kurzerhand sein Auto für die gesamte Zeit in Saudi-Arabien an, da er eines von einem Kollegen leihen könne. Ich lehne ab, will ich doch Fahrrad fahren.

Saud und Amira schenken mir ein Reisekissen, das ich unbedingt mitnehmen soll. Ausserdem lädt Saud mich in seine Heimatstadt Ha'il ein, wo er die nächsten zehn freien Tage verbringen wird. In 10 Tagen bis nach Ha’il wird wohl etwas knapp. Ich sage ihm, dass ich ihm nichts versprechen könne.

Kurz vor der Landung erlebe ich einen weiteren Einblick in diese fremde Kultur: Von hinten ertönen laute Gebete mehrerer Männer. Nun, mit so viel göttlicher Unterstützung kann bei der Landung ja nichts schiefgehen. Hoffentlich ist die Landebahn Richtung Mekka ausgerichtet.

Bei der Passkontrolle höre ich schon von weitem ein herzliches "Welcome!"

Ich muss verschiedene Fingerabdrücke abgeben, aber der Prozess verläuft schnell. Ich muss nicht einmal mein Visum vorzeigen. Ich weiss nicht, ob mein neuer Freund Saud den Prozess beschleunigt hat, es den Kontrolleuren um drei Uhr in der Nacht einfach nicht für mehr zumute ist oder ich so unverdächtig aussehe.

Mein Gepäck lässt auf sich warten, was mir Zeit für ein Foto mit Saud gibt.

Als ich frage, ob Amira nicht auch aufs Foto möchte, im Bewusstsein, dass dies eine heikle Frage ist, verneinen beide. Sie sei zu schüchtern.

Die beiden haben schon bald all ihr Gepäck und sagen mir, dass sie nach der Zollkontrolle warten würden. Irgendwann kommen auch mein Gepäck sowie der Fahrradkarton.

Doch draussen kein Saud mit Ehefrau mehr.

Dafür ein riesiges Aquarium inklusive Haie. Ich fühle mich selbst wie in einem Haifischbecken, als mehrere Männer ohne Englischkenntnisse auf mich einreden.

Einer übersetzt schliesslich: Sie hätten ein grosses Taxi und könnten mich mit meinem Fahrrad zum Busbahnhof bringen. Der Preis ist mir jedoch zu hoch – umgerechnet rund 40 Franken für diese kurze Strecke. Mein Gegenangebot von der Hälfte lehnen sie ab.

Der Übersetzer meint plötzlich, er könne mich vielleicht auch dahin bringen, wenn die hintere Sitzbank runtergeklappt ist. Er wirkt vertrauenswürdiger, und seine Englischkenntnisse sind ein Vorteil. Einen Preis vereinbaren wir nicht, da es ohnehin unklar ist, ob der Fahrradkarton in sein Auto passt.

Ich gehe schnell zu einem Bankautomaten im Flughafen, doch der ist ausser Betrieb. Mein Fahrer meint, im Obergeschoss gäbe es noch zwei weitere. Mit einem mulmigen Gefühl lasse ich mein gesamtes Gepäck inklusive Fahrradkarton kurz bei ihm zurück. Es bleibt mir nichts anderes übrig, da ich es nicht mitnehmen kann. Leider funktionieren die Bankautomaten auch oben nicht: Einer ist ausgeschaltet, und der andere gibt meine Karte nach kurzer Zeit zurück – Karte nicht akzeptiert.

Wir beschliessen, in der Stadt einen funktionierenden Automaten zu suchen. Hoffentlich klappt das noch, sonst kann ich meinen Fahrer nicht einmal bezahlen. Das Fahrrad passt gerade knapp ins Auto. Der Bankomat in der Stadt funktioniert. Allerdings habe ich nicht gedacht, dass die beorderten 500 Rial als eine Note rauskommen. An einer Tankstelle wechselt mein Fahrer sie mir.

Er schlägt mir vor, gemeinsam ins Schokoladenbusiness einzusteigen. Es gäbe doch sicher eine gute Schweizer Schokolade, die es hier in Saudi-Arabien noch nicht zu kaufen gebe. Ein echter Geschäftsmann!

Ich werde es mir überlegen, sage ich ihm. Stolz zeigt er mir seinen teuren Ring. Riesig und klobig, denke aber sage ich nicht. Wir fahren auf einer 5-spurigen Strasse, pro Richtung. Er meint, ich könne ihm für die Fahrt so viel bezahlen, wie ich wolle. Ich gebe ihm umgerechnet rund 25 Franken und mache mit ihm auf seine Nachfrage hin noch ein Selfie, womit er zufrieden zu sein scheint. Er gibt mir seine Nummer, falls irgendetwas wäre.

Die Busstation ist riesig. Allgemein erscheint mir hier vieles überdimensioniert. Im Wartehäuschen warten Männer und Frauen in getrennten Zonen. Für alle hier eine Selbstverständlichkeit, für mich verstörend. Ich möchte zur Toilette und stoppe auf halbem Weg abrupt, als ich nämlich merke, dass ich dazu durchs Frauenwarteabteil laufen muss. Ist das okay? Es scheint so.

Hier stellen sich einem ganz neuen Fragen.

Im Bus nehme ich in der vordersten Reihe Platz, werde jedoch schnell darauf hingewiesen, dass diese Plätze nur für Frauen reserviert sind.

Saud schreibt mir, sein Kollege, der ihn zu seinem Auto brachte, hatte Stress, deshalb konnte er nicht auf mich warten.

Während der 16-stündigen Fahrt gibt es mehrere Stopps mit Einkaufsmöglichkeiten und Toiletten. Ich nutze jede Gelegenheit für eine Pause, bin jedoch jedes Mal besorgt, die Weiterfahrt zu verpassen.

Überall ziehe ich Aufmerksamkeit auf mich. Die Verständigung basiert auf einzelnen englischen Worten und Händen und Füssen. Einige Mitreisende wollen Fotos mit mir machen oder meine Nummer haben. Einer schickt mir später ein Foto von einem Teller Reis mit kleinen Enten – für mich nicht gerade appetitlich, aber er ist offenbar stolz darauf. Scheint ein wirklicher Vogelfan zu sein, da er mir zuvor bereits seine Haustier-Raubvögel auf Fotos gezeigt hatte. Komischer Vogel.

Nach insgesamt 36 Stunden Reise komme ich endlich im Hotel in Tabuk an. Was für eine Reise!

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