Don Quijote

Niemand hätte je den Ozean überquert, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, bei Sturm das Schiff zu verlassen.
— Charles F. Kettering

26.09.2024

Triest wird in zwei Tagen mein erster Meilenstein sein. Dort treffe ich Sofia wieder und lasse die Alpen hinter mir.

Als hätte ich geahnt, was vor diesem Meilenstein noch alles auf mich zukommen würde, finde ich kaum Schlaf im Zelt am Bleder See.

Es hilft sicher auch nicht, dass ich zu wenig gegessen habe und hungrig bin. Zu wissen, dass Wildzelten in ganz Slowenien eigentlich verboten ist, hilft ebenso wenig. Also schreibe ich mitten in der Nacht Blogbeiträge. Müde sitze ich am Morgen in einem örtlichen Café und gönne mir ein ausgiebiges Morgenessen.

Es scheint, als hätte die ganze Bleder Vogelschar davon Wind bekommen, dass ich noch eine Extra-Portion Kraft für die letzten zwei Tage brauche.

Das heutige Ziel ist Ljubljana. Da die Tour sonst nicht sehr ambitioniert wäre, komme ich in der schlaflosen Nacht auf die, rückblickend "glorreiche", Idee, einen Umweg zur exponiert auf einem Hügel liegenden Kirche in Jamnik und einem vielversprechenden Städtchen namens Skofja Loka zu machen. 500 zusätzliche Höhenmeter nehme ich dafür unter die Räder. Auf dem Kirchenhügel angekommen, treffe ich ein Radreisepärchen aus Basel, Matthias und Simone, die für ein paar Tage in Slowenien Fahrrad fahren. Kaum lenken wir unsere Räder auf dem schönen Weg zur Kirche, kommt starker Wind auf. Gerne lasse ich mir von den beiden im Windschatten der Kirche Brot und Käse geben. Noch während ich ihnen davon erzähle, dass ich bisher Wetterglück hatte und kaum Regen abbekommen habe, fängt es an zu regnen. Was für eine Ironie! Ich hoffe auf einen kurzen Schauer, da meine Drohne nicht wasserfest ist, und auf Drohnenfotos bei dieser spektakulär platzierten Kirche möchte ich nur ungern verzichten. Ich warte. Irgendwann gehen Matthias und Simone. Ich warte weiter. Es muss doch bald aufhören. Das Warten findet kein Ende.

Rund 1,5 Stunden später als meine netten neuen Bekanntschaften gebe ich zähneknirschend auf. Der Regen hat noch zugenommen. Ich friere. Nun geht es unverrichteter Dinge und etwas schlotternd wieder den Berg hinunter. Zu allem Übel verfahre ich mich auch noch und verpasse Skofja Loka. Und das Schicksal bedient sich erneut der Ironie: Ich bin zwar völlig durchnässt, habe aber kein Trinkwasser mehr. Wenigstens das finde ich irgendwann kurz vor Ljubljana. Ich weiss zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass der nächste Tag noch viel schwieriger wird. Ljubljana kommt mir anfangs wie ein Provinzstädtchen vor. Etwas näher zum Zentrum folgen grosse Plattenbauten, bis dann das wirklich hübsche Stadtzentrum folgt, wo auch mein Hostel liegt. Frisch geduscht bekomme ich kurz vor Ladenschluss noch ein wunderbares Abendessen. Alles ist noch einmal einigermassen gut gegangen.

Jetzt nur noch von Ljubljana nach Triest, dann habe ich es tatsächlich genau am mit Sofia vereinbarten Datum in diese Hafenstadt geschafft.

Doch ein unsichtbarer Gegner scheint etwas dagegen zu haben.

Der nieselnde Regen ist im Vergleich nur ein kleines Problem. Der Kampf beginnt. Meine Fahrradhandschuhe als Boxhandschuhe zu benutzen, bringt nichts – ich würde keinen einzigen Treffer landen. So kann ich mich nur im übertragenen Sinn durchboxen. Es scheint, als wäre dies meine Abschlussprüfung vor dem ersten Meilenstein Triest. Sozusagen der Level-Endgegner, um es in der Terminologie des Gamings auszudrücken. Doch es ist kein Spiel. Mein Kampf ist real. Und der Kampf ist hart. Der Boxring verschiebt sich nur langsam nach vorne. Beim ersten Aufstieg ist die erste Runde beendet. Durchatmen. Wobei dies leichter geschrieben als getan ist, denn bergauf mit meinem Gepäck ist an sich ja auch nicht gerade ohne. Vielleicht gibt sich mein Gegner danach geschlagen?

Weit gefehlt. Mit gleicher Konstanz startet er erbarmungslos wieder Angriff um Angriff, sobald es nicht mehr bergauf geht. Und das auch nach dem zweiten, dritten und vierten Mal. Zermürbend. Gibt es denn gar keine letzte Runde? Solche Etappen trennen den Spreu vom Weizen, denke ich mir. Aufgeben ist keine Option. Ich will ja schliesslich zum Weizen gehören. Mir kommen ein paar Fahrradfahrer mit grinsendem Gesicht entgegen. Würde ich umdrehen, so würde ich den Feind auch zum Freund machen. Aber ich will ja nach Triest zu Sofia, da kann ich nicht einfach umdrehen. Nicht aufgeben, auch wenn ich mich sitzend k.o. fühle. Ich kann diesen Kampf nur mit viel Ausdauer nach Punkten gewinnen. Einfach weiterstrampeln. Einzig das Fahrrad anstelle des Pferdes unterscheidet mich jetzt noch vom Ritter Don Quijote.

Kurz vor Triest klopft mir mein Kontrahent anerkennend von hinten auf die Schulter. Ich gewinne den Kampf. Er hat das Nachsehen. Der Wind.

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