28.11.2024
Es ist bereits am Eindunkeln, als ich nach einem Wildzeltplatz suche, den ich auf einer App gesehen habe. Doch ohne funktionierendes Internet wird es schwierig, diesen zu finden. Wie vieles doch von diesem Internet abhängt. Ich zweige von der Strasse ab und bin wieder im Sand. Ich laufe einen Felsen entlang. Eine Einbuchtung ist mit einem Metallzaun abgesperrt. Unweit davon stelle ich mein Zelt auf. Das Zelt zeigt sich widerspenstig, noch nie hatte ich so viel Mühe, es aufzubauen. Aber ich hatte wohl auch noch selten so wenig Geduld, denn ich möchte mich einfach nur noch hinlegen und schlafen. Ausserdem mache ich mir Sorgen, da ich doch mit etwas Internet hier gerechnet habe, um die nächsten Tage noch detaillierter planen zu können. Es kann sich hier nämlich schwierig gestalten, einen passenden Zeltplatz zu finden. Da hilft mir die App mit Tipps von Anderen Wildzeltenden sehr. Doch werde ich diese Plätze auch so finden? Heute hat das jedenfalls nicht geklappt. Mit letzter Kraft wuchte ich die letzte Zeltstange in die Öse.
Da werde ich plötzlich von grellem Licht erfasst.
Ein Pickup fährt im Sand genau in meine Richtung, muss mich gesehen haben. Ein junger Mann bringt sein Kamel zur Einbuchtung mit Metallzaun, ein Kamelnachtquartier ist das also. Danach stapft er zu mir. Dies sei kein guter Platz zum Schlafen, meint er mit wenigen Brocken Englisch. Warum, verrät er mir nicht. Ich solle mit ihm mitkommen zu einem Haus. Er werde erst seine Mutter nachhause bringen und dann zurückkommen, um mich abzuholen. Ich willige ein, auch wenn ich nicht genau weiss, was auf mich zukommen wird. Nun heisst es also, das Zelt im Dunkeln wieder abzubauen.
Wie versprochen kommt Afzal zurück. Er spricht von einer morgigen Tour ins Wadi Disah. Mehr verstehe ich nicht. Er bringt mich zu einem Ort, der ein bisschen wie ein Zeltplatz aussieht, doch keine Zelte sind zu sehen, ausser zwei typisch arabische, beide halboffen, eines mit einem Feuer in der Mitte, mit Teppichen ausgelegt und ein paar jungen Männern rundherum, das andere gleich rechts davon leer und mit Sandboden. Und links ein kleines Häuschen, das drinnen auf die für hier typische Art und Weise mit Teppichen ausgelegt ist.
Er fragt mich, wo ich schlafen wolle: Im Häuschen, im Zelt mit Lagerfeuer oder, und dazu läuft er circa 30 Meter weg, einfach im Sand, wohl mit meinem eigenen Zelt gedacht. Wenn ich schon so gefragt werde, zeige ich auf das Häuschen. Kurze Zeit später fragt er noch einmal. Ist ihm meine Wahl allenfalls nicht genehm? Seine Englisch- und meine Arabischkenntnisse lassen keine Klärung zu. Beim dritten Nachfragen zeige ich dann auf das Zelt mit Lagerfeuer.
Auch vom Freundeskreis rund ums Lagerfeuer kann niemand wirklich Englisch. Amüsanterweise tragen aber drei von ihnen Pullover mit englischen Aufschriften. Ich habe einen Mordshunger, packe etwas Brot aus, bestreiche es mit Peanut Butter und esse. Sie stellen mir ein Kuchenstück hin, das ich mir als Dessert aufzubewahren gedenke. Als ich soweit wäre, hat es sich allerdings schon ein anderer geschnappt. Niemand redet mit mir, doch ich merke, dass sie untereinander über mich reden. Plötzlich bringt der eine ein grosses Motorrad und sie möchten ein Foto von mir mit dem Motorrad im Hintergrund machen. Warum, erschliesst sich mir nicht.
Dann wird auf einmal Kabsa gebracht. Das ist eine in Saudi-Arabien sehr beliebte Speise, bestehend aus unterschiedlich gewürztem Reis und meist mit Poulet getoppt. Ich darf mitessen. Damit habe ich nun wirklich gar nicht mehr gerechnet. Meine Gefühlslage ist zwiespältig. Ich bin mir nicht so sicher, ob ich mich hier wirklich willkommen fühlen darf und kann.
Ich sitze zwar in der Runde wie jeder andere auch, kriege Tee und Essen, doch fühle ich mich trotzdem irgendwie aussen vor. Ausgeschlossen. Es gelingt mir nicht, wirklich in Verbindung zu kommen, obwohl ich es mehrmals versuche. Die Sprachbarriere trägt da natürlich einen grossen Teil dazu bei, doch es scheint nicht nur das zu sein. Mit nicht funktionierendem Internet kann ich mich auch mit niemandem von zu Hause austauschen.
In diesem Moment umklammert mich nun plötzlich ein Gefühl, das bisher auf meiner Reise noch nicht aufgekommen ist, ich mich aber gewundert habe, ob und wann es erstmals auftaucht.
Ein Gefühl vor dem ich hinsichtlich meiner Reise immer etwas Angst hatte. Einsamkeit.
Ich war bisher oft allein, doch einsam habe ich mich nie gefühlt. Auch zu meiner eigenen Überraschung. Nun bin ich zwar nicht allein, doch fühle ich mich einsam.
Ich fühle mich wie in einer eigenen Bubble, abgekapselt von meiner Umwelt. Afzal redet immer wieder etwas von einer Tour und Geld. Als ich ihm zu verstehen gebe, dass mein Internet, und ohne dies auch mein Google Translate nicht funktioniert, bringt er mir Wifi. Nun können wir uns immerhin schriftlich ein wenig unterhalten. Es scheint, als möchte er Geld für die Übernachtung hier verlangen, so richtig konkret äussert er dies aber nicht. Ist das ein offizieller Zeltplatz? Ausserdem möchte er mir auch eine Tour morgen früh ins Wadi verkaufen. Erst bietet er mir auch einen Kamelritt an, meint dann aber kurze Zeit darauf, als ich näher nachfragen möchte, dass das Kamel zu weit weg sei. Ich willige ein, mit ihm eine einstündige Tour mit dem Auto für umgerechnet rund 40 Franken morgen früh ins Wadi zu machen. Damit scheint er einigermassen zufrieden zu sein. Etwas für die Übernachtung zu bezahlen, fände ich komisch, da er mich doch fast dazu aufgefordert hat, mit ihm mitzukommen und anfangs nie Geld erwähnt hat. Doch als Schmarotzer möchte ich natürlich auch nicht da sitzen.
Also ist doch diese Tour eine gute Lösung, so meine Überlegung. Und vielleicht kriege ich im Morgenlicht ja auch noch ein paar weitere schöne Fotos hin. Mit dem Wifi kann ich nun auch kurz mit Sofia telefonieren, was mein Gefühl der Einsamkeit etwas zu dämpfen vermag. Ausserdem finde ich heraus, warum ich hier kein eigenes Internet habe: Meine gekaufte E-Sim kann nur auf einen Netzanbieter zugreifen, der praktisch ausschliesslich in den grossen Städten Zugang zu Internet gewährt, über das ganze Land gesehen also eine sehr schlechte Netzabdeckung bietet. Diese Erkenntnis beruhigt mich auch etwas, gibt mir zumindest Planungssicherheit. Ich weiss nun, dass ich in Al'Ula eine andere E-Sim werde installieren können, womit ich viel öfters Internetzugang haben sollte.
Bald bin ich so müde, dass man es mir anmerkt. Afzal bemerkt es. Die anderen sind offenbar noch nicht bettreif, im Zelt mit Lagerfeuer zu schlafen wird also schwierig, wenn alle noch hier sind. Afzal legt mir im gleich daneben liegenden offenen Zelt mit Sandboden ein Tuch aus. Ich gebe mir alle Mühe ihn mit Unterstützung von Pantomime zu fragen, ob es denn keine Skorpione und Schlangen hier gibt.
Hätte ich diesen Verlauf kommen sehen, hätte ich lieber nochmals mein Zelt aufgestellt. Ein Kollege von Afzal kommt dazu. Er scheint ihn zu überreden, dass ich doch im Häuschen schlafen kann. Er zeigt jedenfalls anschliessend aufs Häuschen. Ich versuche ihm zu verstehen zu geben, dass es für mich überhaupt kein Problem darstellt, wenn andere später auch dazu stossen. Ich möchte niemandem seinen Schlafplatz wegnehmen. Am Morgen wache ich dennoch alleine im Häuschen auf. Die anderen liegen gut in Decken eingehüllt im Lagerfeuerzelt. Afzal hört mich, als ich aus der Tür komme und macht sich bereit für die Tour.