Sand

Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen.
— Erich Kästner

27.11.2024

Nach dem gestrigen sportlichen Wüsteneinstieg sollte heute ein geruhsamer Tag folgen. Sollte.

Nur 23 Kilometer durch das Wadi Disah sind geplant.

Wadis, das sind Flussbetten in der Wüste, die wenig bis kein Wasser führen, ausser nach Regenschauern. Und ich will mir dieses, gemäss Bildern, wunderschöne Wadi in aller Ruhe zur Gemüte führen.

Doch noch vor dem Eingang ins Wadi suche ich erst einmal die Felsenlandschaft nach einem ganz besonderen Felsen ab. Irgendwo hier sollte nämlich der "Camels Rock" sein. Wie man vermuten kann: Ein Felsen, der wie ein Kamel aussieht. Mein Gastgeber in Tabuk, Salah, wusste nichts von dessen Existenz, obwohl er schon mehrmals hier war. Ganz so einfach konnte er also nicht zu finden sein. Ich lasse die geteerte Strasse kurz nach meinem Schlafplatz hinter mir. Um das Fahrrad nicht im Sand hin- und herzustossen, lasse ich es stehen und mache mich zu Fuss auf die Suche.

Was ich sehe, sind lebendige Kamele. Aber wo ist denn nun dieser speziell geformte Felsen? Ich klettere seitlich etwas die Felsen hoch. Nichts. Als ich meinen Blick zufällig etwas höher schwenke, erkenne ich ihn plötzlich. Ich habe ihn nicht so hoch erwartet.

Der Camels Rock thront weit über dem Tal und hat tatsächlich frappante Ähnlichkeit mit diesem Wüstentier.

Bald ist ans Fahrradfahren nicht mehr zu denken. Fahrradstossen ist angesagt und ich bin noch nicht einmal im eigentlichen Wadi.

Bereits der Eingang ist spektakulär: Auf beiden Seiten ragen eindrucksvoll hohe Felswände empor. Ich komme mir klein vor mit meiner Eisernen Wilma.

Aus dem Fahrradstossen wird ein Fahrrad-mit-aller-Kraft-irgendwie-fortbewegen.

Der Sand ist tief. Nur schon wenige Meter kosten ungemein viel Kraft. Auf den Bildern habe ich immer etwas Wasser gesehen und mir entsprechend gedacht, dass die Passage mit dem Fahrrad mehrheitlich zu befahren ist. Doch offenbar hat es hier schon lange nicht mehr geregnet. Bei Regen kann sich ein solches Wadi rasch in einen reissenden Fluss verwandeln. Jetzt bin ich es, der reissen muss, und zwar das Fahrrad. Manchmal hat es etwas Steine auf der Seite, die das Stossen ein wenig einfacher machen. Doch meist kann ich dem tiefen Sand nicht ausweichen.

Das Grün von Palmen und Sträuchern kontrastiert schön zum Rot der Felswände und dem Hellbraun des Sandes.

Ich halte immer wieder an, einerseits zum Verschnaufen, andererseits, um die Umgebung trotz dem schweisstreibenden Kraftakt in seiner ganzen Schönheit bestaunen zu können.

Nach ungefähr vier Kilometern im Wadi bin ich am Ende meiner Kräfte. Klingt nach nichts, ist mit einem rund 60 Kilogramm schweren Fahrrad, inklusive Gepäck, in diesem tiefen Sand jedoch eine Bravourleistung. Und müde Beine von gestern habe ich ja auch noch. Geruhsamer Tag dann ein anderes Mal. Ich sitze auf einem Stein und esse Datteln, die ich von Salah bekommen habe.

Und warte.

Am Morgen hatte ich zwei Autos in meine Richtung fahren sehen. Nun fährt nur eines in die Gegenrichtung. Ich warte weiter. In den Felsen erkenne ich immer mehr Gesichter. Es ist, als würden sie auf mich herabsehen. Die meisten ziehen eine Fratze. Doch ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen. Es wird bestimmt noch ein Auto kommen, das mich auf die andere Wadi-Seite fahren kann. Irgendwoher nehme ich das Vertrauen, dass es klappen wird. Im schlimmsten Fall zelte ich halt hier, obwohl das offiziell verboten ist.

Plötzlich höre ich Motorengeräusche von der für mich richtigen Seite. Geräusche hört man in diesem engen Tal von weit her.

Es sind gleich zwei Autos, doch ziemlich voll mit Leuten. Eine pakistanische Familie, von der einer hier in Saudi-Arabien arbeitet und die anderen auf Besuch sind. Sie können mein Fahrrad aufs Autodach binden, meinen sie. Das ist mir dann doch etwas zu abenteuerlich, schliesslich will ich meine Wilma auch am anderen Ende des Wadis noch ganz. Alles in allem überaus nett und hilfsbereit, diese Familie. Nach einem Foto mit deren Tochter fahren sie weiter.

Und ich warte weiter. Und warte.

Bis ein Pick-up kommt. Zwei Brüder aus dem nahegelegenen Dorf packen mein Fahrrad kurzerhand auf die Ladefläche ihres Trucks. Nach fast zwei Stunden Warten darf ich mich zuvorderst neben sie quetschen und mein Gepäck findet auch noch irgendwo zwischen ihren tausend Dingen und unseren Beinen Platz.

16 Geschwister seien sie insgesamt, erzählen sie auf Nachfrage. Rekord! Ich mache es mir nämlich zum Spass, immer mal wieder nach der Anzahl Brüder und Schwestern zu fragen, nicht selten fällt die Zahl sehr hoch aus. Die 16 Kinder sind allerdings von drei verschiedenen Frauen. In Saudi-Arabien darf man als Mann bis zu vier Frauen heiraten, obwohl das heutzutage eher selten noch gemacht wird, wie mir gesagt wird. 11 Kinder bleibt der Rekord von ein und derselben Frau. Auch schon eine ganze Fussballmannschaft.

Wir erreichen die Stelle, wo ein Rinnsal an Wasser fliesst.

Von hier also habe ich vorgängig die Bilder gesehen. Hier wäre es auch wieder einfacher mit dem Fahrrad. Doch ich beschliesse, mich durch das ganze Wadi fahren zu lassen, wer weiss was da noch alles kommt.

Wir fahren durch mehrere Meter hohes Gestrüpp. Plötzlich sehen wir ein murmeltierartiges Tier auf dem Sand. Hektik bricht aus. Wir halten sofort an. Das Tier hat sich in einer Felsritze versteckt. Die beiden versuchen es nun herauszukriegen. Wieso, bleibt mir vorerst schleierhaft. Es habe sich verletzt. Wollen sie es einfach davor retten, in der Felsspalte stecken zu bleiben? Sie geben vollen Einsatz; der eine macht dem anderen gar eine Räuberleiter. Und tatsächlich schafft es der Fahrer, es mit einem Pullover zu packen. Wir fahren weiter, der Fahrer nun mit diesem Tier in der einen und dem Lenker in der anderen Hand. Schalten gestaltet sich so schwierig. Sie schaffen es, eine saubere Übergabe an den Beifahrer zu machen. Sie zeigen mir Bilder; sie hätten zuhause eine Art Zoo mit verschiedenen Vögeln. Dieses arme Tier möchten sie auch in dieses Gehege bringen.

Am Ende des Wadis verabschiede ich mich. Bald schon wird es dunkel. Im Dorf Al Disah finde ich einen Wassertank zum gratis Wasser nachfüllen. Wider Erwarten funktioniert mein Internet auch hier immer noch nicht. Der Ladenbesitzer des Dorfmarkts gibt mir kurz Internet, sodass ich nach fast zwei Tagen wenigstens wieder einmal nachhause schreiben kann, dass alles in Ordnung ist.

Alles in Ordnung, ja, doch ich bin körperlich schon nach zwei Tagen ziemlich kaputt.

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