Feuer

Feuer im Herzen gibt Rauch im Kopf.
— Deutsches Sprichwort

15.10.2024

Auf dem Weg zur grünen Grenze dominieren die Farben Gelb, Rot und Orange. Der Weg ist tatsächlich sehr steil und steinig. Die Fahrräder müssen wir grösstenteils schieben. Wir zelten auf einer Anhöhe, noch in Bosnien.

Es sind einige Wolken am Himmel zu sehen, der Sonnenuntergang daher nicht vielversprechend. Doch kurz vor dem Verschwinden zeigt sich die gelbe Kugel der Sonne noch einmal.

Und plötzlich brennt es!

Der ganze Himmel brennt und wird immer roter und noch roter. Zum Rot gesellt sich Orange und auch noch Violett. Ein Naturspektakel sondergleichen. Ich weiss gar nicht, wohin ich die Kamera der Drohne schwenken soll – rundherum sieht es toll aus. Die Fotos wirken fast unecht, zu farbig. Doch es ist die Realität. Ein Genuss.

Auch der Sonnenaufgang am nächsten Morgen bietet ein tolles Licht- und Farbenspiel!

Dann geht's weiter bergauf – mal ein Stück fahren, dann wieder schieben. Wir setzen unsere Füsse kurz vor der Passhöhe erstmals auf montenegrinischen Boden. Allerdings wissen wir das nur dank Google Maps; ansonsten käme man nicht auf die Idee, eine Grenze zu überschreiten.

Hier ist der Herbst nun definitiv angekommen!

Die Bäume schillern in herbstlicher Pracht. Wieder sind Gelb, Rot und Orange szenebestimmend. Endlich oben am Pass essen wir kurz etwas und geniessen die Aussicht neben frei umherlaufenden Kühen. Die Fahrt ins Tal ist eine wahre Freude. Ich spüre nun nicht mehr die brennenden Beine, wie beim Aufstieg, sondern bin Feuer und Flamme für diese Abfahrt. Weiterhin eine farbenprächtige Baumkulisse, eine asphaltierte Strasse in gutem Zustand ohne ein einziges Auto, markante Berge und verzweigte Seitentäler. Es ist einer jener Momente, in denen mich das Glück überkommt. Gänsehautmoment. Endorphine durchströmen meinen ganzen Körper. Mir kommen Tränen vor Freude. Martin ergeht es genau so.

Schliesslich erreichen wir einen der verästelten Arme des Piva-Sees. Der nächste Ort, Plužine, wird seiner tollen Umgebung leider überhaupt nicht gerecht. Es wirkt, als wären hier viele Häuser in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft worden. Ohne Konzept. Ohne Anspruch an die Ästhetik des Gesamtbildes. Dennoch gönnen wir uns hier ein ausgiebiges Essen in einem Restaurant. Dann geht es weiter. Die Zeit läuft. Die Sonne geht in diesem engen Tal früh unter. Eigentlich wäre es spätestens jetzt an der Zeit, einen Zeltplatz zu finden.

Doch die Strasse schlängelt sich nun mit unzähligen Tunneln entlang des langgezogenen Sees. Zwischen See und Fels bleibt kaum Platz, nur gerade genug für die Strasse. Wie soll hier ein Zeltplatz gefunden werden? Das haben wir schlecht antizipiert. Rauch im Kopf. Wir entscheiden uns, noch bis ans Ende des Sees zu fahren und dann auf der Gegenseite ein Stück zurückzufahren. Da sollte es unserer Vermutung nach kaum Verkehr geben, und vielleicht finden wir dort irgendwo eine annehmbare Zeltmöglichkeit. Doch das sind noch rund 16 Kilometer. Wir haben keine andere Wahl.

Die Tunnel sind zwar grösstenteils relativ kurz, aber nicht beleuchtet und somit jetzt stockdunkel. Mit dem Fahrrad bin ich grundsätzlich nicht gerne in Tunneln. Ich fühle mich eingeengt, muss noch mehr auf die Fahrkünste und Vernunft der motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen hoffen, da es kein Ausweichen gibt. Der Hall aufheulender Motoren in den Tunneln lässt mich entsprechend erschaudern. Die Zeit drängt. Wir passieren ein dunkles Loch nach dem anderen. Je später es wird, desto dunkler wird es auch ausserhalb der Tunnel. Die Situation scheint gefährlich zu werden. Zum Glück haben wir beide in Mostar noch ein Rücklicht gekauft. Mein sonstiges Rücklicht am Fahrrad ist ziemlich schwach. Zudem setzen wir uns auch die Stirnlampen auf.

Jetzt heisst es: Augen zu und durch. Oder besser mit offenen Augen – ab und zu sieht man ja doch noch etwas. Wir sind beide angespannt. Irgendwann erreichen wir den Damm und somit das nördliche Seeende.

"No parking!"

…ertönt es erschreckend laut und unerwartet aus einem Megafon von einem Häuschen auf der anderen Seite des Damms, als wir kurz auf dem Damm anhalten, um hinunter in das tiefe Tal zu schauen.

Offensichtlich sind wir gemeint. Na gut, dann weiter, ohne Sightseeing. Nun können wir auf die, wie vermutet, kaum befahrene Strecke umschwenken. Wir finden schliesslich einen perfekten Platz für unsere Zelte: flacher Boden, etwas Gras, direkt am See. Obwohl es keine sanitären Anlagen oder sonst etwas gibt, was an einen offiziellen Campingplatz erinnert, ist es offenbar doch einer, denn es kommt jemand vorbei und verlangt von uns je 3 Euro. Doch diese bezahlen wir gerne. Wir sind erleichtert. Erschöpft. So einen guten Platz hätten wir nun definitiv nicht mehr erwarten können. Neben uns sind noch zwei Wohnmobile, allerdings in einiger Entfernung zu uns.

Zum ersten Mal auf meiner Reise machen wir ein Lagerfeuer. Gelbe, rote und orangene Flammen schlängeln sich in die dunkle Nacht. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, morgen werden sich die Wege von Martin und mir trennen. Was für ein Tag!

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