Gast

Wer Gastfreundschaft zeigt, gibt mehr als ein Dach – er gibt Hoffnung und Vertrauen.
— Timo Ertel

04.12.2024

Hamoud und seine Freunde wollen mich fast nicht mehr gehen lassen.

Mehrmals musste ich ihr Angebot, eine zweite Nacht zu bleiben, beim geselligen gestrigen Abend ablehnen. Sie hätten sogar ein Lamm über dem Feuer gebraten. Das war natürlich durchaus sehr verlockend. Doch Waldemar und Sandra, das Schweizer Touristenpärchen, haben mich in Al'Ula in ihr Airbnb eingeladen, wo sie nur noch eine Nacht sein werden und ein freies Zimmer haben. Die beiden wiederzutreffen, eine richtige Dusche zu haben, Kleider zu waschen und grundsätzlich wieder einmal unter Menschen mit der gleichen Sprache zu sein, sind zu viele gute Gegenargumente.

Ich will mich also frühmorgens aufmachen, eine doch etwas längere und anstrengende Etappe steht mir bevor. Eine kurze Nacht also, kamen wir doch erst einiges nach Mitternacht zum Schlafen. Ich wecke Hamoud, um ihm Tschüss zu sagen, mich zu bedanken und ihn nach dem Schlüssel zu fragen. Mein Gepäck ist noch im anderen Haus; wir schliefen aber beim Zelt. Zwei seiner Freunde, die am Vorabend auch dabei waren, kommen und bringen ein Morgenessen mit. Da kann ich nicht ablehnen, gibt es mir doch die nötige Energie. Herzlich bedanke ich mich nochmals bei allen. Einer der Freunde ist nicht da, und ich beauftrage sie, ihm auch liebe Grüsse von mir auszurichten.

Mit dem Schlüssel vom Haus hole ich mein Gepäck. Hamoud hat angeboten, auch mitzukommen, doch das will ich nicht, denn er ist augenscheinlich noch sehr müde.

In einem kurzen, knackigen Aufstieg steht in einer Kurve ein Lastwagen auf der Seite.

Offenkundig ein kleiner Unfall. Die beiden Pakistanis versichern mir aber, dass es ihnen gut geht und sie nichts brauchen. Sie warten hier schon drei Tage auf einen Mechaniker.

Ich komme durch das Gebiet der gestrigen Wolfsjagd. Wenn nur jetzt plötzlich kein Wolf vor mir steht! Das Gelände ist allerdings zum Glück weitsichtig, wenn auch grau, wodurch ein Wolf dennoch nicht so schnell zu sehen wäre.

Nach etwa einer Stunde Fahrt hält ein Auto vor mir. Es sind Hamoud und seine Freunde.

Der eine Freund, der sich nicht verabschieden konnte, wollte sich auch noch verabschieden, weshalb sie mir hinterhergefahren sind. Unglaublich. Ich kenne sie erst seit ein paar Stunden. Sie meinen, dass ich weniger weit gekommen sei, als sie gedacht hätten. Ich erkläre ihnen, dass dies an der Steigung liege. In der zweiten Tageshälfte, wenn es bergab geht, werde ich viel schneller sein. Ich liege im Zeitplan. Sie machen sich wieder auf den Nachhauseweg, und ich nehme die restlichen Höhenmeter in Angriff.

Beim Abstieg sehe ich gleich fünf Lastwagen am Strassenrand stehen.

Spontan laden mich vier Pakistanis und ein Inder zu einem Tee ein. Sie warten hier sogar schon eine ganze Woche auf den Mechaniker aus Riad und wurden bezüglich Zeitvertreibung kreativ.

Ich darf zwei Runden bei der PET-Flasche-mit-Stein-Umwerf-Meisterschaft mitmachen, gewinne allerdings nie.

Wie auch? Sie werden schon tagelange Übung darin haben. Mein Vorbeischauen ist eine willkommene Abwechslung; der Freude wird gar mit einem Tanz Ausdruck verliehen.

Nun fahre ich in Schlangenlinien in ein Tal hinein und bin nicht mehr auf dem Berg, sondern zwischen zwei Bergketten.

Und kurze Zeit darauf verändert sich die Landschaft schlagartig. Nicht mehr dunkelbraun und schwarz dominieren die Gebirgslandschaft, sondern hellbraune Gesteinsformationen türmen sich im flachen Gebiet auf. Al'Ula zeigt ein erstes spektakuläres Gesicht.

Bei Sandra und Waldemar komme ich nur deshalb zehn Minuten später an als frühmorgens angekündigt, weil ich kaum aus dem Fotografieren herauskomme. Sonst wäre ich wohl auf die Minute pünktlich gewesen, was mich selbst erstaunt. Zum Glück habe ich hier endlich wieder einmal Internet und kann sie über die paar Minuten Verspätung informieren – wir sind ja immerhin unter Schweizern.

Aus der Ferne sehe ich zwei Menschen auf je einer Seitenstrasse stehen und wundere mich. Erst als ich näher bin, erkenne ich, dass es meine beiden Gastgeber von heute sind, die mir Spalier stehen. Die Dusche fühlt sich nach rund einer Woche wie eine Neugeburt an. Meine Gastgeber bestehen darauf, mich sowohl für die Übernachtung als auch das Abendessen einzuladen. Immerhin darf ich sie einmal zu einem Abendessen in Bern einladen.

Für das Abendessen fahren wir in die herausgeputzte "Old Town" von Al'Ula. Es scheint hier alles nicht nur renoviert, sondern neu aufgebaut worden zu sein, wohl dem Original nachgebaut. Im Vergleich zum sonstigen Al'Ula wirkt es auf jeden Fall neuer und nicht älter. Abends ist ein Lichtermeer zu bestaunen. Ich bin unentschlossen, was ich davon halten soll. Definitiv schön anzusehen, und die Architektur gibt einem auch nach wie vor das Gefühl, im arabischen Raum zu sein. Doch irgendwie ging in meinen Augen der Charme des Alten verloren. Es ist zu herausgeputzt, als dass es wirklich authentisch sein könnte.

Vom Parkplatz sind es nur etwa 100 Meter. Dennoch wird man von einem kleinen Bus mit vier Plätzen chauffiert. Davon halte ich auf jeden Fall nicht viel. Doch egal, wir nehmen auch dieses Erlebnis mit. All dies zeigt, dass Al'Ula dereinst zu einer Touristenhochburg werden soll. Neben den religiösen Touristenzielen Mekka und Medina und allein schon wegen seiner Grösse und Bedeutung noch neben Riad ist es wohl schon jetzt der touristischste Ort in ganz Saudi-Arabien.

Und immerhin hat sich dieses Land zum Ziel gesetzt, bis in wenigen Jahren weltweit am meisten Touristen anzuziehen. Diversifikation ist hier das Stichwort – allein vom Erdöl wird man nicht mehr lange leben können. Dass Al'Ula mit seinem grossen Potenzial in den Überlegungen eine Rolle spielt und dementsprechend Investitionen überall zu sehen sind, versteht sich eigentlich von selbst. Dieses Potenzial ist in erster Linie in Hegra begründet, dem UNESCO-Weltkulturerbe. Doch auch das Spiegelhaus Maraya und weitere Sehenswürdigkeiten sind Anziehungsmagnete mit grossem Potenzial.

Am nächsten Morgen gibt es einen herzlichen Abschied von Waldemar und Sandra inklusive Abschlussfoto.

Bei Ahmed, der hier wohnt und mich mit seinem Auto in der Wüste die steile Bergstrasse hochgefahren hat, darf ich nun die folgenden Nächte Gast sein.

So viele nette Menschen, die mich zu Übernachtungen einladen.
Mein Zelt verstaubt schon fast.

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