Grenzen

Wenn du einmal verstanden hast, dass Grenzen nur in unserem Kopf existieren, werden die Möglichkeiten endlos.
— Ariane Alter

20.09.2024

Eisglättegefahr auf dem Flüelapass – der ungewohnt frühe Wintereinbruch hat mich auf dem falschen Fuss erwischt. Da ich mich auch immer noch mit Kopf- und Halsschmerzen herumschlage, entscheide ich mich, etwas ernüchtert, mit dem Zug durch den Vereina-Tunnel zu fahren. Immerhin sollten der Ofenpass und das Stilfser Joch befahrbar sein, und die Wettervorhersage für die nächsten Tage ist vielversprechend.

In Klosters, vor dem Tunnel, noch Regen, in Zernez, nach dem Tunnel, Sonnenschein mit nur vereinzelten Wolken – was für ein Kontrast! Ich frohlocke und wähne mich wieder auf der Sonnenseite des Lebens. Für den Ofenpass lasse ich mir viel Zeit und lasse immer wieder die Drohne fliegen. So komme ich zwar nicht richtig in einen Rhythmus, aber das Hotel auf der Passhöhe sollte dennoch gut zu erreichen sein.

Ich staune. Diese Natur. Diese Unberührtheit. Dieser Waldgeruch. Diese Strasse, die sich da hindurchschlängelt und zu immer neuen, wunderbaren Aussichten führt. Es ist fantastisch.

Ich fühle mich verbunden.
Ich fühle mich frei
wie ein Vogel.

Im Hotel tanke ich mit gutem Essen und Wellness Kraft für den nächsten Tag. Immerhin erwarten mich rund 1400 Höhenmeter, der Umbrailpass und mit dem Stilfser Joch bereits der höchste Punkt meiner gesamten Reise. Selbstverständlich ist der Sonnenaufgang an einem solchen Ort ein Pflichttermin für die Drohnenfotografie. Die Bergwelt hier ist gewaltig. Und mit dem Nebel, der sich auf der einen Seite überraschend gebildet hat, kommt auch eine gewisse Mystik dazu.

Mein Navigationsgerät führt mich anfangs der Umbrail-Passstrasse auf eine Wiese und durch eine Kuhweide mit Muttertierhaltung. Ein Schild weist darauf hin, dass man einen grossen Bogen um die Mutterkühe machen soll. Das wäre mit meinem Fahrrad kaum möglich. Zum Glück liegt oder steht keine auf meinem Weg. Ich finde zurück auf die geteerte Passstrasse. Hier folgt die nächste Überraschung: Ich werde Zeuge eines Alp-Abzugs. Endlich werden die mühsamen Motorrad- und Autoraser mal ausgebremst, denke ich schmunzelnd. Serpentine hier, Serpentine da. Hin und her geht der Weg. Und steil ist er – jedenfalls sehr steil für mich mit meinem vollgepackten Fahrrad. Ab und zu gibt es Szenenapplaus von anderen Verkehrsteilnehmern. Diese Motivationsspritzen sind Gold wert.

Ich schaffe es auf den Umbrailpass und dann, bei leichtem Schneefall, auch auf das Stilfser Joch. Ich komme dabei an meine Grenzen. Ich komme auch an die Landesgrenze und bin nun in Italien. Bereits einige Höhenmeter vor dem Ziel überwältigen mich meine Emotionen. Ich breche in Tränen aus.

Währenddessen fahre ich weiter. Immer weiter. Bis ich den Pass schlussendlich erreiche.

Das Erreichen dieses Passes auf 2757 Metern über Meer gibt mir das Gefühl, dass alles zu schaffen ist.

Auf dem Pass komme ich mit einem Amerikaner ins Gespräch. Als er mein Fahrrad hochhebt, kann er es kaum glauben, dass ich damit hier hochgefahren bin. Kurz vor meiner Abreise wusste ich ja selbst nicht, ob ich es damit überhaupt 20 Kilometer weit schaffe. Und nun bin ich auf dem Stelvio! Mit stolzer Brust gehe ich ins Hotel auf Passhöhe. Am nächsten Tag erwartet mich dann die spektakuläre Abfahrt – der verdiente Lohn für harte “Arbeit”.

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