Kamelrennen

Die schönste Gier ist die Neugier, die hässlichste die Habgier.
— Monika Kühn-Görg

17.12.2024

Kamelrennen sind in Saudi Arabien ein beliebter Nationalsport.

Obwohl: Sport ist es eigentlich nur für die Kamele, nicht für deren Besitzer, die ihrem Kamel auf der Rennbahn mit dem Auto nebenherfahren und per Fernbedienung einen Kameljockey-Roboter bedienen, der das Tier antreibt. Früher ritten Menschen darauf. Da es natürlich ein Vorteil war, eine möglichst leichte Person aufs Kamel zu setzen, wurden meist Kinder aus Pakistan oder Bangladesh dafür eingesetzt. Irgendwann wurde dann offenbar doch entschieden, dass dies nicht mehr zeitgemäss ist.

Das Morgenlicht tunkt die Rennbahn in goldige Farben. Trotzdem ist es noch kalt. Auch die Gastarbeiter frieren, während sie, von Tüchern umhüllt, mit Kamelen auf der Rennbahn ihre Runden drehen. Sie reiten jeweils auf einem der Tiere, wohl so etwas wie das Leittier, und eine Traube von anderen Kamelen rennt mit, entweder mit oder auch ohne Seil. Ich stelle mich gleich neben der Rennbahn hin und versuche die Szenerie in Bildern festzuhalten.

Auch Jamal sehe ich dabei wieder. Inzwischen habe ich mir überlegt, wie ich zumindest seine Situation vielleicht verbessern könnte. Er ist allerdings zu beschäftigt mit den Kamelen, als dass ich mit ihm persönlich sprechen könnte. So teile ich ihm per Nachricht mit, dass ich für ihn gerne hier kennengelernte saudische Freunde für eine andere Arbeitsstelle fragen werde. Doch in seiner Antwortnachricht winkt er ab. Sie hätten hier ein so genanntes Sponsoringsystem: Der Arbeitgeber müsse einem Stellenwechsel zustimmen und könne ihn auch jederzeit wieder zurück nachhause in den Sudan schicken. Einem Stellenwechsel würde sein aktueller Arbeitgeber nie und nimmer zustimmen. Dass dieses System der Ausbeutung Tür und Tor öffnet, versteht sich von selbst. So sind auch mir die Hände gebunden.

Mohammed hält mit seinem Auto neben mir. Er nimmt mich ein Stück mit, wir fahren eine halbe Rennstrecke an der Seite seiner rennenden Kamele mit.

Auf den gestrigen Abend spreche ich ihn nicht mehr an, weder auf seine verstörende Frage noch auf sein Nichtmehrerscheinen oder meinen unerwarteten Schlafraumwechsel. Auch die aus meiner Sicht unhaltbaren Arbeitsbedingungen für die hiesigen Gastarbeiter bleiben ihm gegenüber unausgesprochen. Vielleicht würde ich Jamal und seine Kollegen in Gefahr bringen, wenn Mohammed erfährt, dass sie mir von ihren Arbeitsbedingungen erzählt haben. Ich möchte die Situation auf keinen Fall noch verschlimmern. Das Hauptproblem liegt zudem grundsätzlich im System, wodurch ein Ansprechen aller Voraussicht nach herzlich wenig bringt. So jedenfalls kann ich es vor mir selber verantworten, vor Ort nicht die Stimme dagegen zu erheben, obwohl es meinem stark verankerten Gerechtigkeitsempfinden diametral widerspricht. So oder so ist mein Verhältnis zu Mohammed im Vergleich zu gestern folglich stark abgekühlt, was er sicherlich auch bemerkt.

Ich werde an diesem Morgen auch noch Zeuge eines Proberennens.

Alle daran teilnehmenden Kamele werden mit Kameljockey-Robotern ausgerüstet. Ich darf in einem Auto mitfahren und bekomme auch mit, wie der Fahrer die Fernsteuerung für den Roboter betätigt.

Die Kamele schwitzen und schäumen.

Teilweise fliegt ihnen ihr eigener Mundschaum bis hinter die Ohren. Mein Fahrer zeigt sich mit dem zweiten Platz seines Kamels zufrieden.

Erst jetzt fällt mir die Analogie auf. Auch die Gastarbeiter werden mit "Peitsche" zu Höchstleistungen getrieben. Auch sie funktionieren "ferngesteuert". Auch sie "rennen" bis zum Umfallen, aber in erster Linie nicht für sich selbst sondern für erhöhten Profit eines Anderen.

Mir fällt es schwer, den Umgang mit den Gastarbeitern in Saudi Arabien mit der grossen mir entgegengebrachten Gastfreundlichkeit der Saudis in Einklang zu bringen. Ich gehe zurück zur Baracke um zusammenzupacken und weiterzuziehen. Auf der Baracke nisten Vögel. Also doch keine Ratten auf dem Dach, wie gestern beim Einschlafen befürchtet. Vögel - Symbol für Freiheit. Jamal winkt mir von weitem. Aufgewühlt und mit schlechtem Gewissen, Missstände gesehen aber nichts verbessert haben zu können, ziehe ich wieder los in die Wüste.

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