Kitschig

Das Erstaunliche macht uns einmal staunen, aber das Bewunderungswürdige wird immer mehr bewundert.
— Joseph Joubert

20.10.2024

Hinter Kotor schlängelt sich eine Serpentinenstrasse den Berg hinauf, von der ich bezüglich Panoramas nur Bestes gehört habe. Doch mein Bedarf an Höhenmetern ist nach dem Durmitor-Nationalpark mehr als gedeckt. So beschliesse ich, mit der nahegelegenen Seilbahn hochzufahren, die auf denselben Berg führt, und die Serpentinenstrasse hinunterzudüsen

Auf der Webseite steht nichts davon, dass Fahrräder nicht mitgenommen werden dürfen; das hatte ich im Vorfeld recherchiert. Trotzdem ist es so, sagt mir die Dame an der Talstation. Also lasse ich mein Fahrrad unten sicher deponieren und miete oben eines für die Abfahrt. Ein Ärgernis, welches angesichts der Aussicht aber schnell verfliegt.

Die Aussicht wirkt unreal, beinahe kitschig.

Im Hafen von Kotor liegen zwei riesige Kreuzfahrtschiffe, eines davon habe ich heute Morgen von «meiner Villa» aus bei der Einfahrt fotografiert. Das erklärt, warum die Altstadt heute Morgen so überlaufen war. Sie ist zwar wunderschön, doch mir erscheint sie zu touristisch.

Ohne respektlos sein zu wollen: Für mich hat ein Kreuzfahrtschiff etwas von einer Heuschreckenplage. Die Leute kommen in grosser Masse an, belagern den Ort, toben sich aus, schlagen ihre Bäuche voll und verschwinden wieder mit dem Schiff, so schnell wie sie gekommen sind. Heute haben sich also gleich zwei dieser "Heuschreckenplagen" im Hafen eingefunden – wenigstens bieten die Schiffe ein schönes Fotomotiv.

Ich komme gerade noch rechtzeitig beim letzten Sonnenlicht an. Sveti Stefan ist bekannt für die vorgelagerte Altstadt auf einer Insel, die sich als äusserst fotogen erweist.

Mit der untergehenden Sonne im Hintergrund erscheint auch diese Szenerie fast schon kitschig.

Absurd: Vor wenigen Jahren kauften ausländische Investoren die gesamte Insel mit allen darauf befindlichen Gebäuden, um ein einziges Hotel daraus zu machen. Doch offenbar hatte der Staat Einwände, und so bleibt die Insel bis heute leer.

Es wäre toll, auf diese Insel zu gelangen und sie ganz alleine zu erkunden, denke ich mir am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang. Doch sie ist gut abgesperrt und mit Kameras überwacht, also verwerfe ich den Gedanken.

Stattdessen gelingt es mir, per E-Mail einen besonderen Deal für den heutigen Abend zu arrangieren: Ein Bootstouren-Anbieter in Virpazar bietet mir eine kostenlose, private Bootstour bei Sonnenuntergang auf dem Skadarsee an, wenn ich im Gegenzug meine Fotos zur Verfügung stelle.

Gewissermassen mein erster Auftrag als Fotograf! Etwas nervös steige ich abends auf ein überraschend grosses Holzboot, begleitet nur von einem Guide. Er zeigt mir zu Beginn einige Vögel, darunter kurz einen Eisvogel. Ich bin allerdings überhaupt nicht ausgerüstet für Vogelaufnahmen - habe ich doch neben Handy und Drohne keine weitere Kamera auf die Reise mitnehmen können. Als er bemerkt, dass ich nur mit dem Handy fotografiere, fragt er vorsichtig, ob ich tatsächlich keine Kamera hätte. Erleichtert erkläre ich ihm, dass ich mit der Drohne dann die eigentlichen Fotos machen werde, nur für die Vogelaufnahmen fehle mir die passende Ausrüstung. Als wir dann im Sonnenuntergang um malerische Inselberge und inmitten von Seerosen unsere Kreise ziehen, schwebt die Drohne über uns.

Die Fahrt und die Bilder grenzen wiederum an Kitsch – und mein erster „Fotografie-Auftrag“ wird doch noch ein Erfolg.

Am nächsten Morgen fotografiere ich den Sonnenaufgang, ohne Auftrag. Nebel zieht über einen Hügel und in den Wald am See – ich bin erneut überwältigt. Die kitschigen Momente reissen nicht ab. Die anschliessende Fahrt nördlich um den See ist ebenfalls fast zu schön, um wahr zu sein. Immer wieder schwenke ich meinen Blick zurück zum See, um mir zu versichern, dass ich nicht träume.

Bei einem Granatapfelsaft geniesse ich den Ausblick.

Märchenhaft, diese Landschaft - Montenegro hat mich wahrhaftig verzaubert.

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