Ich bin dankbar, dass auf meiner Reise bisher alles so gut geklappt hat für mich. Ich hatte Glück. Es grenzt an ein Wunder, dass ich kaum Zwischenfälle erleiden musste. Fast zu wenige, um wahr zu sein.
Und genau da passiert es. Auf der Fahrt durch die Ausläufer von Podgorica holt es mich gedanklich schlagartig zurück in die Gegenwart. Ein Auto fährt rückwärts aus einem Parkplatz, sieht mich offenbar erst spät. Ich kann im letzten Moment gerade noch ausweichen, komme dabei allerdings stark ins Schlenkern. Meine rechte Pedale schlittert am Boden und verhilft mir gerade noch, mich mit Müh und Not auf den Rädern zu halten. Zum Glück kann ich dabei meine Mountainbike-Erfahrung in die Waagschale werfen, sonst wäre ich ziemlich unsanft auf dem Boden aufgeprallt. Glück im Unglück.
Ich stoppe, leicht geschockt. Irgendetwas mit meinem Vorderrad stimmt nicht.
Und jetzt sehe ich es: Ich habe einen Platten. Den ersten nach über 2000 Kilometern.
Da kann man sich wohl nicht beklagen. Jetzt noch flicken und einen Zeltplatz finden, halte ich nicht für realistisch. Aus Podgorica raus schaffe ich es heute nicht mehr. Es ist inzwischen schon richtig dunkel.
Ich mache online zwei Übernachtungsmöglichkeiten in der Nähe ausfindig und laufe zur ersten hin. Da werde ich abgewiesen – die zuständigen Personen seien nicht da. „Was sie wohl gemacht hätten, wenn ich auf dem Hinweg bereits online gebucht hätte?“ Nach ganzen 40 Minuten Fussmarsch mit müden Beinen werde ich fündig. Und wie! Manchmal liegen Glück und Unglück wirklich nah beieinander. Ich habe praktisch eine ganze Wohnung für mich und die netteste Gastgeberfamilie, die ich je erlebt habe. Sie kochen extra für mich noch ein Abendessen, obwohl sie selber schon längst gegessen haben, es schon relativ spät ist und ich auch eine eigene Küche im Appartement hätte. Dass ich als ausgehungerter Fahrradfahrer etwa das Doppelte esse wie sonst jemand, können sie nicht wissen. Dass ich mir deshalb anschliessend auch noch Pasta koche, müssen sie ja nicht wissen.
Die unglaubliche Gastfreundschaft geht am nächsten Tag nahtlos weiter: Sie bringen ein Frühstück, fahren mich zu einem Supermarkt, helfen mir beim Fahrradflicken und bringen mich extra noch zu einem Fahrradmechaniker, da mir ein Fahrradventil-Aufsatz fürs Pumpen fehlt. Sie schenken mir Früchte aus dem eigenen Garten für die Weiterreise sowie eine Kappe und bestehen darauf, dass ich nicht mehr bezahlen darf, als der vereinbarte, sehr erschwingliche Preis. Insbesondere der Gastvater behandelt mich wie einen eigenen Sohn. Ich bin wirklich baff über diese Gastfreundschaft.
Die fehlenden Englischkenntnisse der Gasteltern überbrückt abends die Gasttochter und morgens Google Translate. Trotz aller Familienidylle gibt’s auch am Morgen noch einen Schockmoment. Als wir mit dem Rad vom Fahrradmechaniker zurückkommen, ist der eine Radachsenverschluss nicht mehr da, wo ich ihn dummerweise davor unbedacht auf den Boden gelegt habe. Sehr unglücklich. Naja, eine gewisse Nervosität ist mir nicht abzusprechen bei meinem ersten Platten auf der Reise. Nach einigem Suchen findet ihn der Gastvater im Gras. Was für ein Glück!
Nun kann es weitergehen, nach Albanien. Zum Abschluss gibt es eine Umarmung.