Platt

Meiner Idee nach ist Energie die erste und einzige Tugend des Menschen.
— Wilhelm von Humboldt

11.12.2024

Bei meinem zweiten Zeltplatz meines Wüstentrips nach Hail erhalte ich abendlichen Besuch eines jungen Beduinen, der sich allerdings nur versichern will, dass bei mir alles okay ist. Englisch spricht er nicht.

Daumen hoch ist aber glücklicherweise internationale Handzeichensprache.

Meine Zeltplätze suche ich sehr gezielt aus, mit sowohl möglichst angenehmer Oberfläche, möglichst viel Windschutz, wie auch Abschottung zur Strasse, was manchmal bedeutet, dass ich ein Gebiet für mehr als eine halbe Stunde zu Fuss erkunde, bis ich mich für ein Plätzchen entscheide.

Auch am dritten Tag kann ich meine geplante Route ohne grössere Zwischenfälle erfolgreich absolvieren. Im endlosen Sand werde ich von Einheimischen aus Riad auf einem Roadtrip nach Al'Ula zu Tee im Schatten ihrer Autos eingeladen, erhalte weiterhin kulinarische Geschenke aus Autotüren heraus und sehe ab und zu eine Schaf- oder Kamelherde an der Strassenseite.

Am vierten Tag komme ich mit einem Gastarbeiter aus Ghana ins Gespräch, der hier Lastwagen fährt.

Ein ehemaliger Arbeitskollege von ihm fahre nun in Amerika Lastwagen, wo er viel mehr verdiene als er. So träumt er ebenfalls von einem besseren Gehalt in einem anderen Land. Vielleicht wird es ebenfalls Amerika sein? Vielleicht Europa?

Ich komme in eine kleine Ortschaft mit einem pakistanischen Restaurant. Genau das Richtige jetzt. Ich bin nämlich platt, ebenso mein Vorderreifen, wie ich nun bemerke.

Aber erstmal Energienachschub. Was für ein Gaumenschmaus, nachdem ich ein paar Tage nur essen konnte, was sich in meinen Taschen befand. Gefühlt im Schlaraffenland bestelle ich eine grosse Portion mit Brot, Reis, Gemüse und Fleisch und nehme auf dem mit Teppich ausgelegtem Boden Platz.

Mit den Händen zu essen gelingt mir inzwischen ein bisschen besser als anfangs, eine Herausforderung bleibt es dennoch. Anschliessend muss ich mich um meinen Vorderreifen kümmern. Eine kleine Traube von Zuschauern bildet sich um mich, was das Flicken für mich nicht gerade einfacher macht. Ein langwieriger Prozess, jedenfalls bei meinem Setup und Können, muss doch neben dem eigentlichen Flicken und der Lochsuche erst das Fahrrad von den Taschen befreit, das Flickzeug zuunterst in der Tasche herausgeklaubt und das Fahrrad am Schluss auch wieder ordentlich mit den Taschen behängt werden. So bedeutet ein platter Reifen fast eine Stunde Zeitverlust für mich. Kaum wieder auf dem Fahrrad, ist auch der neue Schlauch platt. Dann war also doch noch etwas im Reifen? Gefunden hatte ich vorhin nichts. Das ganze Prozedere also noch einmal. Und siehe da, ich finde einen kleinen Draht im Reifen. Wegen so einem kleinen Ding fast zwei Stunden Verzögerung! Bereits zum zweiten Mal habe ich einen Doppelplatten und schwöre mir insgeheim, den Reifen in Zukunft noch viel besser nach dem Verursacher zu abzutasten, sodass mir ein Doppelplatten hoffentlich nicht mehr passiert. Mein eigentlich geplantes heutiges Ziel ist nicht mehr zu erreichen. Eigentlich wollte ich heute Nachmittag noch zu einem Ort, wo Kameltrainings und -rennen stattfinden. Bis da hin schaffe ich es gerade noch. Ob ich wohl auch da übernachten kann?

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