Mord

Ein Feind von der Feder, ist schlimmer als einer vom Leder.
— Deutsches Sprichwort

21.01.2025

Falls auf diesem Campingplatz tatsächlich die im Internet gelesene Mordgeschichte stattgefunden hat, ist sie ihm zumindest nicht anzumerken. Er strahlt eine grosse Ruhe aus. Idylle. Doch beginnt nicht auch jeder Thriller idyllisch? Wir getrauen uns nicht, bei den freundlichen Angestellten nachzufragen.

Doch immer mal wieder schiesst uns ein einzelner Gedanke daran wie ein Pfeil durch den Kopf.

Etwas erhöht ein Bambushaus, die Rezeption mit Restaurant, gut in Schuss gehalten. Ein Sofa lädt zum Verweilen ein. Die Wiese ist so saftig grün, dass man fast gerne hinein beissen würde. Sie führt zum See, auf dem in der Ferne ein Fischer mit schmalem Boot geräuschlos dahingleitet. Ob er heute wohl schon manchen Fisch aufgespiesst hat? Rundherum kräftige Bäume. Drei davon, direkt am Gewässer, dienen zwei Schaukeln als Aufhängevorrichtung.

Ein handgemachtes Schild weist Besuchende darauf hin, dass wer hier nicht barfuss laufe, overdressed sei. Ein anderes verweist auf ein Plätzchen für Yoga-Verrenkungen, direkt am See. Keine anderen Gäste weit und breit. Die Angestellten müssen sich hier ihre Zeit anderweitig totschlagen.

Wir bleiben.

Ein einziges Nilpferdmännchen sei manchmal hier. Es sei mal eine Familie mit Weibchen und männlichem Nachwuchs gewesen. Doch das Weibchen sei gestorben und das Männchen habe aufgrund territorialer Konkurrenz sein eigenes Junges getötet. Das übrig gebliebene Tier wechsle zwischen diesem und zwei nahgelegenen Seen hin und her. Zu jenem See vor unseren Augen sei es allerdings schon seit Wochen nicht mehr zurückgekehrt.

Wer weiss, ob da nicht noch eine Nilpferdleiche irgendwo auf dem Seegrund schlummert?

Beim Zeltaufbau in Wassernähe hören wir plötzlich ein Rascheln im nahegelegenen Gebüsch. Was zum Henker versteckt sich da? Langsam nähern wir uns der Geräuschquelle. Aus dem Gebüsch schauen uns zwei durchdringende Augen entgegen! Bald vier. Kurz darauf sechs.

Affen.

Nachdem ein paar Fotos geschossen sind, widmen wir uns wieder dem Zeltaufbau. Danach setzen wir uns auf die Schaukel, schauen auf das Wasser hinaus. Der See ruhig, sanft. Plötzlich wiederum ein Geräusch. Diesmal ein lautes Knacken. Büsche am Ufer unweit von uns krümmen sich. Einzelne brechen. Bald darauf sehen wir das Nilpferd mit seinen messerscharfen Zähnen ins ansonsten regungslose Wasser steigen. Wie sagt man so schön: Stille Wasser gründen tief. Das dachte sich wohl auch das schwere, für Menschen lebensgefährliche Tier. Sehen wir es also doch, allerdings nur wenige Sekunden.

Auge um Auge, Zahn um Zahn sinkt es hinab ins kalte Nass.

Untergetaucht. Bis nach gewisser Zeit an der Wasseroberfläche wieder eine Schnauze sicht- und daraus ein Schnauben hörbar wird, bevor es abermals untertaucht.

Nach feinem Gemüsecurry im Camping-Restaurant, wir haben die Löffel noch nicht einmal abgegeben, spricht uns John an. Er möchte uns auf eine morgige "Cultural Tour" zum Dorf locken und uns auch zum "Top of the world" führen, einem Aussichtspunkt mit Blick auf alle drei Seen der Gegend. Wir willigen ein, hauen uns im Zelt aufs Ohr und fallen kurz darauf in tiefen Schlaf.

Am Morgen hat sich ein wenig Nebel wie einen Schleier auf den See gelegt.

Mystik.

Unser Morgenessen geniessen wir direkt am See. Wie aus einer Pistole geschossen kommt ein Affe angerannt, wir werden zu seinem Opfer, eine unserer Bananen zu seiner Beute.

John kommt pünktlich für die abgemachte Tour. Als sie schon fast wieder zu Ende ist, getrauen wir uns ihn zu fragen: "Stimmt es, dass es einen Mord auf dem Campingplatz gab?" "Einen Mord?" Wie wir darauf kämen, möchte er wissen. Wir berichten ihm von der Nachricht, die wir auf einer App gelesen haben: Eine Familienfehde habe in einem Mord geendet. "Nein, einen Mord hat es nicht gegeben, wohl aber einen Familienstreit." Der Campingplatz sei vererbt worden. Das Familienmitglied, das anfangs die Führung übernahm, habe das kleine Paradies heruntergewirtschaftet und den anderen Familienmitgliedern auch nicht regelmässig das versprochene Geld geschickt. Irgendwann hatten die anderen Familienmitglieder genug und nahmen die Bewirtschaftung selbst in die Hand. Dies habe zu Streit geführt, wobei das eine Familienmitglied nun das Geschäft zu torpedieren versuche.

Zurück im kleinen Idyll kommt die Chefin auf uns zu. Sie möchte wissen, woher wir die Mordgeschichte haben, damit sie diese Lüge aus der Welt schaffen könne. Sie habe auch schon den Namen des Campings wechseln müssen, da die andere Person den Webseiten-Namen besetzt und sogar ein Camping mit gleichem Namen im Dorf eröffnet habe.

Familienstreitigkeiten, manchmal bis aufs Blut - nicht nur in Uganda sondern in allen Ländern der Welt ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen.

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