Todesangst

Todesangst löst eine Lawine aus, die alles unter sich begräbt
— Manfred Hinrich

28.01.2025

"Elias! Wach auf! Etwas liegt auf mir! Ich kann kaum atmen...", röchelt Sofia. Innert Sekundenbruchteilen werde ich aus meinen Träumen in die gefährliche Realität katapultiert.

Todesangst.

Doch erst einmal alles von Anfang an.

Wir hatten schon im Vorfeld gelesen, dass Tierbesuche auf unserem aktuellen Campingplatz keinen Seltenheitswert haben. Wasserbüffel haben uns bereits bei der Ankunft Spalier gestanden. Einzelne Elefanten streifen regelmässig durch das Camp. Ausserdem haben wir tagsüber auch verschiedene Antilopenherden rund um das Camp und Warzenschweine auf dem Camp gesehen. Besonders nach Regen gebe es manchmal auch Besuch von Nilpferden. Und das alles tagsüber.

Die meisten Tiere Afrikas sind jedoch vor allem nachts aktiv. "Falls ihr nachts aus dem Zelt müsst, sucht immer zuerst die Umgebung mit der Stirnlampe nach reflektierenden Augen ab", meint der Campingplatzbesitzer Hannington. Unsere Bananen geben wir ihm gerne zur Aufbewahrung, nachdem er uns erzählt, dass das Dachzelt eines Touristenpärchen mitten in der Nacht von einem Elefanten aufgerissen wurde, weil sie ihre Bananen darin verstaut hatten.

Er gibt uns Anweisungen, wo wir unser Zelt am besten aufstellen können. Wir leisten Folge. Zwischen Bäumen platzieren unser kleines Refugium und die Fahrräder so, dass eine kleine abgeschirmte Fläche entsteht, wo wir im Notfall unsere Notdurft verrichten könnten, ohne weit weg vom Zelt zu müssen.

Auch ein anderer Fernradfahrer, Hannes aus Deutschland, hat sein Zelt aufgeschlagen, einige Meter entfernt von uns hinter dem WC-Häuschen. Er ist in die Gegenrichtung von uns unterwegs.

Bereits in der ersten Nacht hören wir das Brüllen und Knurren von Löwen. Am nächsten Tag erzählt uns Hannington, dass sie einen Büffel unweit des Camps gerissen hätten. In der zweiten Nacht kommt dann akustisch auch das etwas verstörende "Lachen" der Hyänen dazu. Sam und Anja, das britische Fahrradpärchen, werden in ihrem Zelt ebenfalls Zeugen davon, sind sie doch einen Tag nach uns hier angekommen.

Und dann, ja dann kommt die denkwürdige dritte Nacht.

Wir hören, dass Antilopen ganz in der Nähe unseres Zeltes weiden. Friedlich. Bis Sofia im Halbschlaf plötzlich ein Rennen hört und kurz darauf meint unter einer Lawine zu liegen. Bis sie realisiert, dass ein schweres Tier auf ihr liegt, getrennt nur durch die dünne Zeltwand. Es kommt zu besagter Szene, in der mich Sofia voller Angst aufweckt. Todesgefahr. Instinktiv versuche ich das schwere Etwas mit aller Kraft vom Zelt und vor allem von Sofias Brustkorb wegzudrücken. Ich merke, dass es ein kräftiges, massives Tier ist, das sich auf unser Zelt gestürzt hat. Vielleicht ein Löwe? Ich schreie. So laut ich kann. Ich stemme meinen Körper gegen den Körper des Tieres. Es fühlt sich ewig an, dieser Moment. Ich hoffe, dass die Zeltwand nicht einbricht. Hoffe, dass wir beide irgendwie heil aus dieser Situation herauskommen. Irgendwann lässt das Gewicht nach. Irgendwann ist kein Gegengewicht mehr da. Mein Schreien versiegt. Schockstarre.

Sofia verspürt keinen Druck mehr auf der Brust. Doch sie hört auch kein Schreien mehr. Wie geht es Elias? Lebt er? Ist er verletzt?

Es vergeht ein Moment, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Erst jetzt merken wir, dass unser Zelt an mehreren Stellen zerrissen ist. Eine Zeltstange ist durchbrochen. Unsere Köpfe schauen aus dem Zelt, ohne dass wir es geöffnet hätten. Und so sehe ich, dass mein Fahrrad darauf liegt. Ich versuche es aufzurichten. Versuche auch mich selbst aufzurichten. Vollgepumpt mit Adrenalin spüren wir keinen Schmerz.

Wir stehen im Dunkeln. Nur in Unterwäsche. Ohne Licht. Ruhe.

Bis die Campingangestellten angerannt kommen. Sie haben unsere Schreie gehört. Dann kommen auch Sam und Anja. Auch auf ihr Zelt ist ein Tier getrampelt. Wir dürfen all unsere Taschen in eine Lodge bringen und den Rest der Nacht da verbringen. Auch Hannes schaut vorbei. Er wurde in seinem Zelt hinter dem WC-Häuschen verschont, hilft uns in der stockdunklen Nacht mit den Taschen.

An sofortigen Schlaf ist nicht zu denken. Wir haben beide Redebedarf, versuchen den Vorfall ein Stück weit zu verdauen. Irgendwann schlafe ich dann doch ein. Sofia hingegen kann nicht mehr schlafen. So recherchiert sie bereits, wie wir das Zelt wieder flicken könnten.

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